Pyranja Kolumne
1990
Okt 08
Bei dem Versuch sich genauestens an die vergangenen achtzehn Jahre zu erinnern, merkt man schnell wie verdammt lang nahezu zwei Dekaden sind. Andererseits ist es für mich - trotz aller mathematischen Logik - äußerst schwer vorstellbar, dass es tatsächlich Bürger in diesem Land gibt, die die DDR nicht mehr kennen und die sich mit der Wendezeit maximal im Geschichtsunterricht befassen. Damals liftete eine Zauberhand die verstaubte Käseglocke über unserem Arbeiter- und Bauernstaat und ließ die Proletarierherzen erst stocken und dann höher schlagen.Damals hat man noch fachmännisch in Westautos geschielt und Fanta aus Dosen getrunken. Wir hatten noch immer kein Festnetztelefon und das Internet war schlichtweg unvorstellbar. In Schutow-Evershagen habe ich mir bei einem polnischen Exportfachhändler "Violator” von Depeche Mode auf Kassette geholt und wollte mir wie Public Enemy eine Uhr um den Hals hängen und durch die Hood schawenzeln. 1990 durfte man Amerika noch uneingeschränkt gut finden – und tat das auch. Das gelobte Land lockt die Trabbifahrer mit Burgern, Pepsi und einer vagen Idee von Freiheit und dem schnellen Geld. Apropos, wo ist das eigentlich hin? Die fixe Mark beim Mauerfall haben die wenigsten verdient. Vor allem aber die, die es am wenigsten verdienen. Die Zeit des Umbruchs hat das Bewustsein einer ganzen Nation verändert. Der große sowjetische Bruder wurde ohne Rücksicht auf Verluste durch ein blau-weiß-rotes Ideal ersetzt und selbst der Weichspüler verführte uns von da an nur noch in die bergfrischen Paradiese mit Wohlfühllaune. An sich ja nichts schlechtes, nur frage ich mich oft, ob ich eigentlich die einzige bin, die regelmäßig vor alten schwarzweißen Defastreifen im Fernsehen hängenbleibt – nicht wegen der Thematik oder der Story. Das einzige was mich dabei interessiert ist die alte Optik, die ich aus Kindertagen kenne – zwar alles grau in grau. Doch dafür ohne Werbeunterbrechung. Denn sowas gabs früher auch nicht.
Liebe Grüße, PÜ
/*