Fährt man von Rostock nach Warnemünde, so sieht man kurz hinter dem Ortseingangsschild des Seebades ein großes, hinter Bäumen verborgenes Gebäude stehen. Dieser Klinkerbau, architektonisch eher belanglos bis langweilig, beherbergt im Innern jedoch eine aufregende und weltweit einzigartige technische Anlage – das Maritime Simulationszentrum Warnemünde (MSCW).
„So Leute, wir starten im Nebel und bei Seegang. Wem schlecht wird, der soll die Augen zu machen“, rät Diplomingenieur Sven Herberg, der Technische Leiter des Zentrums. Super Tipp, denke ich. Besonders für die Studenten, die hier trainieren sollen, bei Wind und Wetter ein 100 Meter langes Containerschiff in die enge Hafeneinfahrt von Warnemünde zu schleusen. Aber heute steigen keine angehenden Schiffsoffiziere die Treppen zur nachgebildete Brücke hinauf, sondern lediglich eine Hand voll gelangweilter und angestrengt lässig dreinschauender Schüler, die sich über die Ausbildungsmöglichkeiten an der Technischen Hochschule informieren sollen.
Ihr gleichgültiger Blick hellt sich jedoch ein wenig auf, als sie dann auf der simulierten Brücke stehen und der Beamer angeht.
Fähre von Achtern
Die Brücke – das ist eine große Plattform, die mit allerlei Bildschirmen, blinkenden Lichtern, Knöpfen und Hebeln bestückt ist und einem technisch absolut minderbemittelten Menschen wie mir einen gehörigen Respekt einflößt. Sie wird umrundet von einer riesigen Leinwand, auf der, nachdem Sven Herberg das Programm startet, plötzlich der Bug und das Heck unseres virtuellen Schiffes erscheint, wie es sich langsam der Hafeneinfahrt von Warnemünde nähert. Maßstabsgetreu versteht sich. Und weil ja schließlich schlechtes Wetter herrscht, beginnt die Plattform recht beträchtlich zu schwanken, so dass man sich mit ein wenig Fantasie wirklich vorstellen kann, auf einer Schiffsbrücke zu stehen. Und deswegen wird man tatsächlich ein wenig nervös, als sich auf einmal ein paar unschuldige und wellengebeutelte Segelbötchen von Steuerbord gefährlich schnell der Bordwand nähern oder man plötzlich von hinten eine dicke Fähre auf sich zu stampfen sieht.
Das MSCW ist Bestandteil der Technischen Hochschule in Wismar und Warnemünde und beherbergt den riesigen mehrteiligen Schiffssimulator. Der besteht aus drei Einheiten, die je eine schiffsrelavante Komponente nachahmen: den Maschinenraum, die Seeverkehrleitzentrale an Land und die Schiffsbrücke. In Auftrag gegeben wurde das MSCW 1996 und zwei Jahre später war es komplett fertig gestellt. Kosten der Anlage: 25 Millionen DM.
Angeschafft wurde der Simulator vor allem, um den Wissenschaftsstandort in Ostdeutschland zu festigen. Die ehemalige Ministerin für Bildung und Forschung Edelgard Bulmahn sagte in diesem Zusammenhang: „Mit der Forschungsförderung schaffen wir die Basis für den Aufschwung in den neuen Bundesländern.“ Mit der Stärkung von Forschung und Wissenschaft würden nachhaltige Strukturen und stabile Arbeitsplätze entstehen.
Falscher Knopf gedrückt?
Der Schiffssimulator wird von verschiedenen Leuten genutzt. Vor allem sind das natürlich die Studenten der Hochschule, denen die Möglichkeit gegeben wird, die praktische Seite ihres späteren Seefahrerberufs zu trainieren. Vorher war das lediglich auf dem alt-ehrwürdigen Trainingsschiff „Störtebeker“ möglich, allerdings nur für eine sehr begrenzte Zeit. Mit Hilfe des MSCW können sie nun im Maschinenraum oder der Brücke verschiedenste Szenarien auf verschiedensten Schiffen auf hoher See oder im Hafen simulieren und eins zu eins lernen, wie sich die Dinge auf einem echten Schiff abspielen.
Die dritte Einheit, die Seeverkehrleitzentrale mit dem sperrigen englischen Namen Vessel Traffic Services Simulator dient nicht zu studentischen Ausbildung. Sie wird allein zur Schulung von Mitarbeitern in den Leitzentralen genutzt, die vom Land aus den Schiffsverkehr kontrollieren. Ähnlich wie der Tower am Flughafen.
Nun gibt es deutschlandweit mehrere solcher Schiffssimulatoren, die teilweise sogar größer und umfangreicher sind. Einzigartig in Warnemünde ist jedoch die Koppelbarkeit der einzelnen Einheiten. So steht während einer simulierten Übung, z.B. der nächtlichen Einfahrt in den Hafen von Rotterdam, der Kapitän auf der Brücke in ständigem Kontakt mit der Seeleitzentrale und den Verantwortlichen im nachgebauten Maschinenraum. Und wenn dort ein falscher Knopf gedrückt wird und die Schiffsmotoren ausfallen, so hat nicht nur der Maschinenraum, sondern auch der Mitarbeiter an Land sowie der Kapitän ein Problem, das es zu lösen gilt.
Nun aber zurück zu unserem Containerschiff, das gerade in den Warnemünder Hafen einläuft. War der Wind eben noch eher ungemütlich, so nimmt der Sturm mit einem Mal ab, der Nebel lichtet sich, das Schwanken wird weniger und es klart auf. Bei mildem Tagesanbruch passieren wir die Warnemünder Leuchttürme, die in ein idyllisches Morgenrot getaucht sind. Und man spürt, dass die Entwickler des Simulators nicht ausschließlich dessen technischem Duktus unterworfen sind. Wer auch immer diesen simulierten aber wunderschönen Sonnenaufgang programmiert hat, er hat gezeigt, dass in jeder noch so strengen Wissenschaft immer auch ein Stück Romantik versteckt ist. Wie schön.
Birke Scheffler
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