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Siegfried Wittenburg: Ein Leben als Drahtseilakt - GALERIEN - 0381-Magazin
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Siegfried Wittenburg: Ein Leben als Drahtseilakt

Siegfried Wittenburg: Ein Leben als Drahtseilakt

Mrz 25
Für Siegfried Wittenburg sind es nicht einfach nur Fotos. Hinter den Fotos verbirgt sich auch immer eine tiefe Geschichte. Vielleicht mehr als ein Zufall, dass auch der Rostocker Schriftsteller Walter Kempowski vor Wittenburgs Praktica posierte, denn wo Kempowski als Schriftsteller unzählige Gedanken und Stichpunkte auf Papier notierte und später durch seine bildgebende Sprache gedanklich Bilder malen konnte, fotografierte Wittenburg den Alltag der Menschen in der DDR, der die Geschichten von früher noch heute lebendig wirken lässt.

Mit seinen realitätsgetreuen Fotoaufnahmen aus der DDR übte Fotograf Siegfried Wittenburg stille Kritik am DDR-Regime. Er entwickelte für sich das Konzept, den Alltag darzustellen und den kunsthistorischen Begriff „Sozialistischer Realismus“ wörtlich zu nehmen. Das Leben in der DDR lieferte die Motive, wie zum Beispiel die hochgelobten Wohnsiedlungen am Rande der Städte, die im krassen Gegensatz zum Leben in den historischen Stadtteilen standen. Seine erste Veröffentlichung realistischer Ansichten seines Lebensumfelds löste heftige Reaktionen aus: strikte Ablehnung der Systemtreuen auf der einen, anerkennende Zustimmung der Realisten auf der anderen Seite. Als Wittenburg nach dem Fall der Mauer in seine Stasiakte Einblick nimmt, wird ihm gesagt: „Ihr Leben war ein Drahtseilakt. Ein falscher Schritt und Sie wären abgestürzt.“ In seinem Buch „Ein Leben als Drahtseilakt“ erzählt Siegfried Wittenburg nun in Bild und Wort von erlebter Unfreiheit und Diktatur, von subtilem Widerstand, von einer Revolution und der anschließenden Transformation in ein Leben in Freiheit und Demokratie. 

0381-MAGAZIN: Zeitlich eingegrenzt geht es um die Jahre 1952 bis 1996 mit dem Fokus auf das Dokumentieren des DDR-Alltags. Wie sind Sie zur Fotografie gekommen? Wann hat das angefangen?
Siegfried Wittenburg: Eng verbunden ist die Leidenschaft für Fotografie mit meiner Arbeit als Leiter des Fotoklub „Konkret“ im Kulturhaus der Warnowwerft in den 1980er Jahren. Unser Fotoklub war zum damaligen Zeitpunkt eine enorme Kreativschmiede. Leute wie Axel Schneppat, der auch aus Warnemünde stammt und heute oft für Hollywoodregisseure die Filmkamera dreht, Lothar Koß, Gerald Töppel, Ingo Schöler, Maik Behres, Andreas Duerst, Gert Strosche sowie Thomas Häntzschel und Frank Hormann von der Agentur Nordlicht waren bei uns Mitglied. Viele von den damaligen Amateurfotografen sind später sehr erfolgreich geworden, manche in die Welt hinausgegangen. Auch Achim Schade vom Verlag Redieck & Schade war zeitweilig dabei. Wir haben neben der Amateurfotografie unglaublich viel auf die Beine gestellt. Im Kulturhaus selbst gab es die Galerie „Zebra“, die wir eingerichtet und bespielt haben. 

0381-MAGAZIN:  Wie waren die Mitglieder technisch ausgerüstet und was waren die Motivthemen in den 80er Jahren?
Wittenburg: Uns kam es nicht auf die Kameras an sich an. Ich erinnere mich, dass Leute aus Berlin bei uns zu Gast waren. Sie hatten Kontakte in den Westen und eine Nikon um den Hals. Das spielte für uns absolut keine Rolle. Das Wichtigste waren immer die Bilder, die bei uns auf den Tisch kamen. Bei den regelmäßigen Treffen im Klubhaus packten die Mitglieder ihre aktuellen Fotos aus ihren ORWO-Fotokartons und wir besprachen sie in der Gruppe. Nicht selten gab es Abende, an denen über hundert Bilder auf dem Tisch lagen. Jeder suchte sich ein Thema und fotografierte entsprechend dazu – der eine auf der Werft, der nächste Musiker-Porträts, ein anderer machte Aktfotos. Ich fotografierte einfach die Alltagsgeschichten und hatte dabei häufig Kontakt zu Künstlern. Meine engsten Vertrauten waren Lutz Grünke aus Binz, der wiederum Kontakte nach Berlin und Weimar hatte, und Falko Böttcher, ein Maler mit SED-Vergangenheit und anschließendem Parteiaustritt mit Berufsverbot. Das war ein sehr spannendes Umfeld für mich. .

0381-MAGAZIN: Wann haben Sie begonnen, bewusst den Verfall der DDR zu fotografieren?
Wittenburg: Das war schon ganz früh. Mein erster Schock war, als ich Ende der siebziger Jahre mit meiner damaligen Freundin in Süd-Böhmen im Urlaub war. Die Reise hatte ich über das Reisebüro gebucht. Wir verbrachten eine Woche im Städtchen Trebon, in Budweis und in der Umgebung. Mir war der Zerfall anfangs gar nicht aufgefallen, er war ja allgegenwärtig. Wir haben einen Ausflug nach Cesky Krumlov unternommen, ein malerisches Städtchen an der Moldau mit Burg und Kirche. Mich hat unglaublich geschockt, dass die historische Altstadt so zerfallen war. Am Stadtrand selbst wuchsen diese Neubaugebiete, ganz nach sowjetischem Vorbild. Da gingen mir die Augen auf. Ein Jahr später reiste ich in die Sowjetunion, nach Sibirien. Dort hatte ich ein ähnliches Erlebnis. Unsere Reiseleiterin, eine überzeugte Komsomolzin, stoppte bei der Stadtrundfahrt in Nowosibirsk den Reisebus auf einer Anhöhe und sagte: „Eines Tages, wenn wir Kommunismus haben, können wir alle in diesen schönen Neubauhäusern wohnen, mit Balkon, Fernheizung, fließendem warmen und kalten Wasser …“ Das war ihre Zukunft, sie kannte nichts anderes. Unsere Reisegruppe hat ganz sparsam geguckt. Im Vordergrund standen die liebevoll verzierten Holzhäuser und sollten abgerissen werden. Die hätte man herrichten können. Das war aber nicht der Plan für den Aufbau des Kommunismus. Noch heute sehen die russischen Städte so aus. Neubaublöcke in den Städten und oft zerfallene Holzhäuser in der Landschaft. Zukunft ohne Tradition. Ab da habe ich am Kommunismus gezweifelt und diesen Gedanken immer weiterverfolgt. Die Altstadt in Rostock war ein gutes Beispiel dafür, dass es bei uns ähnlich ablief. Wie Karies fraß sich der Verfall durch die Viertel. Niemand hat sich mehr darum gekümmert. Die Leute sind lieber in die Neubauviertel gezogen. Die prächtigen Bürgerhäuser aus der Gründerzeit in der Altstadt von Halle an der Saale waren nur noch Ruinen, die Läden waren verrottet. In Stralsund, Berlin und Erfurt war das genauso. In Leipzig wurden intakte Gebäude gesprengt, um Platz für die Platte zu schaffen. Das waren Schlüsselerlebnisse für mich, die ich auch auf Fotos festgehalten habe. Darüber hinaus ist mir immer mehr der Alltag der Menschen aufgefallen. Normalweise fotografieren Amateurfotografen schöne Blumen, tolle Landschaften oder Dampflokomotiven. Mich hat zunehmend das Leben interessiert. 
 
 
 
 
0381-MAGAZIN: Welche Möglichkeiten der Veröffentlichungen gab es damals für Fotos?
Wittenburg: Es gab vor allem die Zeitschrift „Fotografie“. An ihr konnten wir uns orientieren. Im Heft lag das „Mitteilungsblatt der Gesellschaft für Fotografie“, in dem aufgerufen wurde, sich an Ausstellungen zu beteiligen. Es gab regelmäßig Kreisfotoschauen, Bezirksfotoschauen, in Rostock gab es speziell die „Internationale Fotoschau der Ostseeländer“. Bei diesem Event erhielten Fotointeressierte und das Publikum einen guten Blick in die für sie verbotene Welt. Ganz wichtig wurde ab 1984 das „Centre Culturel Français“ in Berlin Unter den Linden. Dieses begann, die DDR mit Fotoausstellungen von namhaften Künstlern Frankreichs zu fluten. Zu den Ausstellungen führten wir Exkursionen durch, waren in der Rostocker Kunsthalle, in Neubrandenburg oder im Schloss Güstrow unterwegs. Somit konnten wir für unsere Arbeitsgemeinschaft Anregungen erhalten und haben uns anhand dieser Vorbilder mit der eigenen Realität auseinandergesetzt. Auch in der DDR entwickelte sich unterschwellig eine unangepasste Szene, die uns nicht verborgen blieb. Mit Propagandafotos brauchte man uns zu der Zeit nicht kommen. Es gab zwar den kläglichen Versuch, einen Stasispitzel in die Gruppe zu schleusen, doch das habe ich gemerkt und ihn weggeschickt. Nach diesem erfolglosen Versuch hat die Stasi einen unserer Mitglieder erpresst. Unter Androhung von Gewalt gegen seine Tochter, ein Kleinkind, musste er über mich Berichte schreiben, was er auch tat. Doch sie lieferten keinen Beweis für „politische Untergrundtätigkeit“. Im Gegenteil: Der erzwungene Informant war selbst vom freien Geist überzeugt, der im Fotoklub „Konkret“ herrschte. Ich war zu dem Zeitpunkt Kandidat im Verband Bildender Künstler der DDR. Die Treffen dort fand ich total langweilig. Unsere Arbeit in der Kreativschmiede des Fotoklubs war wesentlich spannender. Als Gruppe haben wir uns immer regelmäßig an den Ausstellungen beteiligt. „Schielt nicht auf die Preise“, schärfte ich den jungen Leuten ein. „Die werden manipuliert. Wenn die Fotos gut sind, kommen die Preise von ganz allein.“ So kam es auch. Bald räumten wir bei den Fotoausstellungen zwei Drittel aller Preise ab. Die waren nur wichtig, um unsere Arbeitsmöglichkeiten im Kulturhaus zu erhalten. Im Frühjahr 1989 konnten wir im Kulturhaus der Warnowwerft unsere eigene Galerie eröffnen, in der wir bis zum Zusammenbruch der DDR drei Ausstellungen geschafft haben. Angesichts der dargestellten Realität in unseren fotografischen Werken gab es heftige Auseinandersetzungen mit der SED bis zur Gewaltandrohung.

0381-MAGAZIN: Ausstellungen waren immer ein wichtiger Teil Ihrer Fotografie? 
Wittenburg: Ich habe in den letzten Jahren fast 30 kleine und große Ausstellungen durchgeführt, mit allem Drum und Dran, in fast allen Bundesländern. Alle Veranstalter, ob Leipzig, Neuss oder Lübeck, meldeten Publikumsrekorde, selbst Düsseldorf. 250.000 Besucher habe ich zusammengezählt. Eine meiner letzten Ausstellung in St. Georgen in Wismar hatte das Thema „Eine Billion für blühende Landschaften“, also die „wilden Jahre“ zu Beginn der 90er. Sie zählte in vier Wochen 32.000 Besucher. Allgemeiner Tenor: „Mein Gott, wie das damals ausgesehen hat! Das habe ich alles vergessen.“ Ich merke immer wieder, dass besonders im Osten diese DDR-Themen vertuscht werden.

0381-MAGAZIN: Wann sehen wir denn von Ihnen Bilder in Rostock?
Wittenburg: Die lassen mich nicht.

0381-MAGAZIN: Woran liegt das denn?
Wittenburg: Ich startete die von der Bundesstiftung Aufarbeitung geförderte Wanderausstellung „Leben in der Utopie“ 2008 im Haus Böll in Rostock. Publikumsrekord, sie wurde von Schulklassen überrannt. „Endlich bekommen wir die Bilder zu sehen, die zu den Geschichten unserer Eltern und Großeltern passen“, las ich im Gästebuch. 2010, zum Tag der Deutschen Einheit lud mich die Hansestadt Bremen ein. Nachdem ich in Bremen ausstellte, fragte das Kulturhistorische Museum Rostock an. Es wurde nur eine kleine Ausstellung, aber mit 8.000 Besuchern! „So viele Besucher haben wir im Staatlichen Museum nicht“, hörte ich aus der Landeshauptstadt. Ich hoffte daraufhin, dass dieses Thema, also das Leben im Alltag der DDR mit allen Facetten, in der Gesellschaft umfangreicher aufgearbeitet, dargestellt und diskutiert wird. Doch im Osten passiert nichts, im Westen genau das Gegenteil. Ich habe einige Jahre mit dem SPIEGEL gearbeitet und bin 2017 mit einer Redakteurin in Dänemark gewesen. Wir wollten erfahren, was die Leute auf der anderen Seite der Ostsee zu erzählen haben. Wir haben in Gedser zu den Fluchtgeschichten und dem Kalten Krieg recherchiert. Die Dänen waren so glücklich, dass endlich jemand kam, dem sie ihre Geschichten zum Thema erzählen können! Ich habe dort einen deutschen Diplomaten getroffen, der in Dänemark lebt. Er zeigte mir ein Ausstellungszentrum auf der Insel Falster - das südlichste von ganz Skandinavien – und fragte mich, ob ich an einer Ausstellung dort Interesse hätte. Die Idee fand ich super und ich hatte das Thema gleich weitergesponnen, die gleiche Ausstellung auch in Rostock zu zeigen. Umgekehrt hätte man auch die Dänen der Partnergemeinde Guldborgsund nach Rostock für eine Ausstellung holen können, um eine Brücke zu bauen. Roland Methling war gerade als Oberbürgermeister weg und Madsen noch nicht richtig im Amt. Von Rostocker Seite war Kulturamtsleiterin Dr. Michaela Selling Ansprechpartnerin. Leider wurde dort die Ausstellung mit Händen und Füßen abgewehrt. Später gab es noch ein Angebot von Thomas Häntzschel, ob ich als „Alternative“ zusammen mit dem Künstlerbund MV ausstellen würde. Es ging den Dänen nicht um den Künstlerbund, sondern um meine fotografischen Werke, die weltbekannt sind. Das Ausstellungszentrum hätte ich allein ausgefüllt. Somit ist es nie dazu gekommen. 

0381-MAGAZIN: Aber Interesse an einer Ausstellung in Rostock gibt es noch?
Wittenburg: Ja klar. Ich habe ein Unterstützerschreiben von Manuela Schwesig. Letzte Woche war Joachim Gauck bei mir und wir haben zusammengesessen und Kaffee getrunken. Die Unterstützer sind schon da. Ich bin in fast ganz Deutschland unterwegs, werde von Hessen, Berlin und Schleswig-Holstein zu Vorträgen, Veranstaltungen und Ausstellungen eingeladen, aber auch von Hamburg, NRW, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Ich lebe in einem kreativen Umfeld und habe ständig irgendwelche Projekte auf dem Tisch. Vor drei Jahren habe ich mir auch Mecklenburg-Vorpommern vorgenommen. Die vor allem jugendlichen Zuhörer gehen in die zigtausende. Sie sind sehr an das damalige Leben östlich der Mauer interessiert. Auch die Erwachsenen interessieren sich für ihre Mitmenschen im Osten. Ich erlebe das täglich, wenn ich dort bin. Im Osten ist es anders. In Sachsen oder Thüringen ist es ganz schlimm. Dort werde ich angefeindet. Es hat sich eine Wut hochgeschaukelt und ist in Hass umgeschlagen, woraus die Populisten ihren Honig saugen. Alles, was nicht deren Meinung ist, wird angegriffen. Würde ich nach Rostock zu einer Ausstellung eingeladen, wäre ich mir sicher, dass man noch lange darüber spräche. Ich würde sie tipptopp aufbereiten. Das ist dringend notwendig. Ich habe mir nach dem Buchprojekt einen Plan gemacht und treibe das Thema voran. 

0381-MAGAZIN: Wie sind Sie darauf gekommen, auch die Geschichten zu den Bildern aufzuschreiben?
Wittenburg: Ein Lübecker Berufsschullehrer hatte sich nach der Grenzöffnung auf dem ehemaligen Todesstreifen bei Dassow ein heruntergekommenes Bauernhaus gekauft und im Laufe der Jahre wunderbar hergerichtet. Alle zwei Jahre lud er Künstler zu „KunstOffen“ ein. Ich bin dort mit ein paar Bildern angerückt. Gekommen sind um die 500 Besucher täglich. In der Diele stellte mich ein Schleswig-Holsteiner zur Rede. „Sind Sie der Fotograf?“ „Ja.“ „Wenn ich damals was zu sagen gehabt hätte, hätte ich Sie einen Kopf kürzer gemacht!“ „Aha“, erwiderte ich, „Sie verstehen etwas davon.“ Er entpuppte sich als der preisgekrönte Schriftsteller Dietrich von Horn aus Bargteheide und richtete eine Bitte an mich: „Schreib doch mal auf, was du so alles erlebt hast, ich kenne viele Leute, die sich für solche Geschichten interessieren, Ich bin gerne dein Mentor und Lektor“. Ich fing an zu schreiben. Das Ergebnis der Arbeit wurde ein Roman von 250 Seiten. Zum Glück wurde das Werk nicht veröffentlicht, sonst hätte ich mein ganzes Material zu früh verschossen. Beim Schreiben habe ich gemerkt, wie gut ich mich auch an Details aus der Vergangenheit erinnern kann. Ich bin kapitelweise vorgegangen und mir fiel alles wieder ein. Manches durchlebte ich emotional ein weiteres Mal. Anschließend habe ich sehr viele Artikel für den SPIEGEL verfasst, die auch heute noch stark abgerufen werden. Fünfmal jährlich habe ich meinen Newsletter „Neues aus Langen Brütz“, 36 Seiten mit Bildern, Geschichten und Erläuterungen, an meine Kontaktpersonen um die Welt geschickt. Das sind Quellen erster Güte.

0381-MAGAZIN: Und dann kam die Idee zu dem Buch?
Wittenburg: Das war 2010 in Bremen, als die damalige Finanzsenatorin bei meiner Ausstellungseröffnung eine Ansprache hielt und mich fragte: „Herr Wittenburg, mich interessiert ganz besonders: Was fotografieren Sie heute?“ Ich antwortete: „Frau Linnert, Sie schauen mich an, als wenn ich wíeder das Elend der Welt darstelle. Das Leben in Unfreiheit und Diktatur und das in Freiheit und Demokratie sind völlig verschiedene Dinge. Man kann das nicht anhand von restaurierten Fassaden festmachen. In einer Demokratie können nahezu alle Probleme gelöst werden, es sei denn, es finden sich genug Menschen zusammen, dieses zu tun.“ Damit hatte ich auch beschlossen, mein „zweites Leben“ darzustellen. Doch zunächst musste der erste Teil fertig werden. Ich habe einfach die Geschichten verfasst, die ich in meinen zehn Vortragsthemen zu den Fotografien erzähle, die besten Texte aus meinen Newslettern herausgezogen und sie zu spannenden Erzählungen formuliert. Das Finale erfolgte während der Corona-Pandemie. Jetzt arbeite ich am zweiten Teil. 

0381-MAGAZIN: Das Buchcover schmückt zwei Cover Girls – wie kam es zu dem Bild?
Wittenburg: Die zwei habe ich damals auf dem RoGo („Rostocker Goliath“, d. Red.) in der Stadthalle Rostock fotografiert. Die eine heißt Simone und den Namen der anderen weiß ich leider nicht. Simone war die Tochter des Gaststättenleiters der MITROPA in Warnemünde. Sie lebt jetzt in Neuseeland, habe ich erfahren. 
 
 
 
 

0381-MAGAZIN: Gab es schon Feedback auf Ihr Buch?
Wittenburg: Ich habe das Buch kürzlich in Berlin vorgestellt, bei Leuten, die davon Ahnung haben. Die Meinung: „So etwas gibt es nicht noch einmal. Das ist etwas Einzigartiges“. Es ist weder ein Kunstfotobuch noch ein Roman. Ich wüsste auch nicht, wie man es nennen kann. Die Resonanz ist insgesamt umwerfend. Doch es ist immer noch ein Zwischenprodukt. 

0381-MAGAZIN: Wie lange haben Sie an dem Buch gearbeitet.
Wittenburg: 10 Jahre. Das Thema ist jetzt für mich abgeschlossen. Ich musste das Buch um hunderte Seiten kürzen. Das ist jetzt Vergangenheit, auch für mich persönlich. 

0381-MAGAZIN: Haben Sie den Alltag in Rostock auch nach 1996 bis heute weiter fotografiert?
Wittenburg: Ich stelle jetzt das Heute dar. Viele Leute sehen die Gegenwart nur negativ. Ich habe in den letzten Jahren den Alltag der Menschen in Mecklenburg-Vorpommern von Ahlbeck bis Zarrentin dargestellt und bin zu einem wunderbaren Ergebnis gekommen. Verglichen mit dem, was ich noch vor 30 Jahren vorgefunden habe, hat dieses Bundesland enorm gewonnen. Natürlich, das Glas wird nie voll sein. Ich interessiere mich für ganz Europa und habe mich mit der Geschichte der Hansestädte befasst, um aus dieser unsere heutige Welt zu verstehen. In meinem Fokus befindet sich das Leben der Menschen in der Europäischen Union. Sehr spannende Eindrücke habe ich aus Estland, Lettland und Litauen mitgebracht. In Narva stand ich direkt an der Grenze zu Russland und schaute über den Fluss, wo eine völlig andere Welt beginnt. Der Krieg in der Ukraine ist allgegenwärtig. Im Baltikum sieht man überall Militärfahrzeuge. Die Menschen leben seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion in Freiheit und Demokratie. Sie wissen das zu schätzen. Ich habe nicht mal in Italien so lebensfrohe Menschen getroffen wie dort und bin total positiv gestimmt von dort zurückgekommen. In Riga habe ich die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen verfolgt und mich gefragt, was ist nur mit den Deutschen los? Haben sie ihre Wahrnehmung verloren? Ich möchte mit den neuen Fotos einen Bogen spannen von damals bis in das Heute – zeigen, was aus den Menschen geworden ist über die Jahre. Ein halbes Jahrhundert Fotografie, ein halbes Leben in Diktatur und ein halbes Leben in Freiheit und Demokratie. Ich möchte mein Leben nicht mit 1989 abgeschlossen haben. 

0381-MAGAZIN: Eine letzte Frage – digital oder analog?
Wittenburg: Ich habe mir oft Gedanken gemacht, ob ich mich auf die digitale Fotografie einlassen soll. Letztendlich habe ich es getan und meine Herangehensweise darauf abgestimmt. Ich kann jetzt viel öfter auf den Auslöser drücken, muss nicht ständig den Film wechseln. Die heutige Technik ist enorm leistungsstark. Ein chemisch entwickelter Film ist immer ein Beweis für das Original. Aber wo ist es in der digitalen Welt? Früher habe ich jedes Negativ archiviert und abgeheftet. In der digitalen Fotografie archiviere ich die Roh-Datei. Bei der anschließenden Bearbeitung der Kopie mache ich nur die Handgriffe, die ich auch in der Dunkelkammer gemacht hätte. Das ist für mich authentisch. Damit bleibt das Ergebnis für mich glaubwürdig.

HENRYK JANZEN

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