Rostock wird in Frankreich nicht selten mit Rostow verwechselt. Deshalb nenne ich stets die Abkürzung RFA (République Fédérale d’Allemagne = Bundesrepublik). Die slawischen Wurzeln Rostocks erinnern mich daran, dass ich selbst ein Entwurzelter bin, eine Mischung aus Schwabe und (Süd-)Bretone, geboren in Paris, lange in Metz gelebt.
Gerade dies ist mit mir geschehen. Ich wurde zunächst mehrmals innerhalb Frankreichs verpflanzt, dann zog ich nach Deutschland. Zunächst landete ich in Freiburg im Breisgau, anschließend in Frankfurt am Main. Der Ruf nach Rostock kam ein wenig überraschend und wurde von mir als Herausforderung wahrgenommen. Ich war nur zweimal auf dem Gebiet der ehemaligen DDR und stets mit Erleichterung in den Westen zurückgekehrt. Außerdem hatten sich die Vorkommnisse in Lichtenhagen weltweit in das Kollektivgedächtnis eingeprägt. Meine Ansiedlung in Rostock erwies sich als nicht einfach. Im Winter war die Luft noch voll mit gesundheitsschädlichen, nach Schwefel stinkenden Braunkohlepartikeln. Telefonleitungen gab es für einzelne Haushalte nicht und die Mieten der wenigen restaurierten Wohnungen waren auch für einen Professor kaum zu bezahlen.
Mein Friseur ist ein echter Mecklenburger. Als ich zehn Jahre nach meinem Umzug behauptete,ich sei mittlerweile ein Rostocker geworden, wollte er dies nicht akzeptieren. Die Frage stellt sich, ab wie vielen Jahren bzw. Generationen man hier als ebenbürtig betrachtet wird. Diese Einstellung hat selbstverständlich vor allem mit einer ländlichen Kultur zu tun, die die Mentalitäten auch in der "Großstadt" prägen. Ähnliches würde man auch in der französischen Provinz erleben.
Meinen Auftrag als ein in Rostock tätiger Hochschullehrer sehe ich nicht nur in der Vermittlung von Wissen und im Anregen zum kritischen Denken, sondern auch im Werben für die offene Gesellschaft und für den damit verbunden Kosmopolitismus, und dies gerade in einer Region, deren Einwohner lange durch autoritäre und totalitäre Verhältnisse bzw. Systeme gepeinigt wurden und deshalb dazu tendieren, sich von der Welt abzukapseln. In dieser Hinsicht ähnelt Mecklenburg der Bretagne sehr. Auch dort galten lange die Menschen als verschlossen und rückständig. Das Meer scheint eher den Horizont zu verschließen als zu erweitern. Heute zählt allerdings die Bretagne zu den Regionen Frankreichs mit dem größten Anteil an Akademikern. Also Gute Reise, bon vent, Rostock!
Yves Bizeul ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Rostock. Er wurde 1956 in Paris geboren und hat Politikwissenschaft, Jura und Evangelische Theologie in Nancy, Paris, Tübingen und Strasbourg studiert.