Pyranja Kolumne
Dez 08
Die letzten Kohlebriketts
verglühen gerade im kleinen Bollerofen. Der beißende Rauch der
gesammelten und noch feuchten Holzstücke sucht sich durch die Ritzen
und Löcher im verfallenen Bretterverschlag einen
Weg nach draußen in die eisige Kälte - zumindest an den Stellen, die
nicht notdürftig mit lehmiger Erde und Resten von Heu abgedichtet
wurden. Das krüppelige Tannenbäumchen inmitten des Raumes haben die
Mädchen im Wald mit dem einzigen und leider halb stumpfen Messer der
Familie mühevoll abgesägt. Auf dem langen Weg zu ihrer versteckten
Fluchtstätte bohren sich die Nadeln unerbittlich in die unterkühlten
Kinderhände. Später reißen sie mit höchster Sorgfalt aus den letzten
Resten von buntem Papier möglichst viele und vor allem aber möglichst
dünne Streifen, die dann an den Baum gehängt werden. Es gibt keine
Küche, nur eine provisorische Ecke in der zwei Töpfe und einige Teller
auf Nahrung warten. Das bisschen Getreideschrot, das noch übrig ist,
vermengen die beiden Mädchen vorsichtig mit etwas Wasser und backen auf
der Kochplatte des langsam erkaltenden Öfchens kleine Sterne, die dann
mit einer Schnur neben das improvisierte Lametta platziert werden. In
früheren Jahren hatte es auch schon mal den Luxus von Marmeladenbroten
gegeben, doch diese Zeiten sind längst vorbei. Die Mädchen warten den
ganzen Tag auf ihre Mutter, die zusammen mit der Oma seit der
Morgendämmerung unterwegs ist. Es gibt nirgendwo Arbeit, von Geld ganz
zu schweigen. Und selbst wenn man ein paar Münzen übrig hätte – es gibt
in den Läden, die noch geöffnet sind, fast nichts mehr zu kaufen. Ab und
zu treffen sie auf ein paar Menschen mit Mitleid, die ihnen etwas Brot,
ein Ei oder einen Kohlkopf zustecken. Doch nur noch wenigen Leuten geht
es erheblich besser als ihnen selbst. Mit den steinharten uralten
Brotresten, mit der die Mutter an diesem Tag heimkehrt, würde man heute
nicht mal die Vögel füttern. Doch am Weihnachtsabend vor dreiundsechzig
Jahren hatten die Oma, die Mutter und ihre beiden Töchter gar keine
andere Wahl, als die alten Stullen in etwas warmes Wasser einzuweichen.
Und irgendwo auf diesem Planeten wiederholt sich die gleiche Geschichte
auch heute noch tausendfach. Brotsuppe statt Festtagsbraten…
PS: Mehr dazu findet ihr auf youtube: Ronny Trettmann “Großvater”.
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