Axel Bosse sieht aus wie der Typ von nebenan. Aber wenn er singt, reißt es seine Fans von den Stühlen. Der gebürtige Braunschweiger, der als begnadeter Beobachter und feinsinniger Geschichtenerzähler gilt, hat kürzlich Stefan Raabs Bundesvisioncontest gewonnen. Auf seinem aktuellen Album "Kraniche" singt er feinnervige Lieder von Liebe, Müßiggang und Verlustangst. Für den letzten Schliff sorgte Boy-Produzent Philipp Steinke. Olaf Neumann sprach mit Axel Bosse, 32, über seine Ängste, Sexismus und Dienst nach Vorschrift
0381-MAGAZIN: Axel Bosse, der Kranich ist ein Symbol der Klugheit und gilt mancherorts als "Vogel des Glücks". Was gab Anlass, Ihr neues Album nach ihm zu benennen?
Axel Bosse: Ich habe mal ein Video in Tokio gedreht, dort entdeckte ich in einer Bibliothek ein ganzes Regal, das der Mythologie der Kraniche gewidmet war. Als Andenken nahm ich mir ein Buch mit, darin ging es auch um Glück, aber vor allem um Langlebigkeit. Irgendwann hatte ich in Brandenburg mein erstes richtiges Naturerlebnis mit Kranichen. Dort treffen sich einmal im Jahr zur Brutzeit Millionen von Kranichen. Dieses Bild habe ich schließlich in den gleichnamigen Song einfließen lassen. Außerdem ist "Kraniche" einfach ein krasses, außergewöhnliches Wort. Es kratzt beim Aussprechen. Wenn man Husten hat, sollte man es lieber nicht sagen.
0381-MAGAZIN: Sind Sie Künstler auch eine Art Zugvogel?
Bosse: Wobei sich das Herumziehen bei mir einigermaßen in Grenzen hält, weil ich ja auf Deutsch singe. Aber für dieses Album bin ich schon viel gereist, was an meiner Frau und an meinem Produzenten lag, die sich Richtung Süden aufgemacht haben. Aber das kam auch mir zugute.
0381-MAGAZIN: Sie sind mit Ihrer Tochter und Ihrer deutschtürkischen Frau Ayse Aziz für eine Weile nach Istanbul gezogen. Inwieweit hatte die Türkei einen Einfluss auf Ihre deutschen Songs?
Bosse: Fast alle türkischen Musiker sagen, sie machten Musik, weil sie die Melancholie lieben. Ich selbst bin kein melancholischer Mensch, aber ich mag tiefgründige Songs. Die Atmosphäre in Istanbul hat sehr auf mich eingewirkt. Eigentlich wollte ich dort einmal von der Musik Abstand haben. Ich habe dann eine deutsch-türkische Kita für meine Tochter gesucht und mir vieles angeguckt, aber nach einer gewissen Zeit fing ich schon wieder an, Songs zu schreiben.
0381-MAGAZIN: Inwieweit ist Müßiggang im Leben eines erfolgreichen Künstler überhaupt möglich?
Bosse: In meinem Leben sowieso nicht. Ich muss mich immer zusammenreißen, um das Nichtstun hinzukriegen. Meine Frau versteht überhaupt nicht, dass ich mich zügeln muss, um das Leben zu genießen. Nach meiner letzten Tour fing mein Kehlkopf an zu schmerzen. Daran habe ich gemerkt, dass ich abbrechen und 2000 Leute nach Hause schicken muss. Eine Tour ist wie ein Kartenhaus: wenn man eine Karte herauszieht, bricht alles zusammen. Zudem spüre ich, dass ich älter werde.
0381-MAGAZIN: Woran merken Sie das?
Bosse: Mit 23 ging noch alles. Jetzt mit 32 kann ich keine zwölf Konzerte am Stück mehr spielen. Dafür tanze und schwitze ich auf der Bühne einfach zu viel. Irgendwann werde ich wahrscheinlich nur noch samstags auftreten.
0381-MAGAZIN: Gibt es etwas, das Sie an Ihrem Job überhaupt nicht mögen?
Bosse: Was ich überhaupt nicht mag, ist, dass dieser Job die ganze Zeit da ist. Ich sehne mich manchmal nach einer Tätigkeit, bei der man um 17 Uhr alles weggeheftet hat. Und wenn ich heute nicht alles geschafft habe, mache ich eben Morgen um acht weiter. Das ist genau das Gegenteil von meinen Beruf, den ich ja liebe. Aber gelegentlich möchte ich einmal nicht an die Amazon-Charts denken. Nur gelingt es mir zuhause nicht. Und das nervt dann wirklich. Genau deshalb hat Istanbul mir so gut getan.
0381-MAGAZIN: Wie wichtig ist Ihnen Erfolg?
Bosse: Ich bin davon abgekommen, irgendetwas unbedingt halten oder immer mehr Erfolg zu wollen. Ich habe mir Element Of Crime zum Vorbild genommen, die wirken auf mich so gemütlich. Dennoch haben sie immer noch was zu sagen.
0381-MAGAZIN: Wer als Musiker künstlerisch weiterkommen will, muss relativ angstlos und risikobereit sein. Wie schafft man das?
Bosse: Fürs Songschreiben muss ich mich einfach locker machen. Ich kann weder sagen, warum eine Nummer im Radio funktioniert noch warum sie links außen bleibt. Ich bin immer total froh, wenn ich überhaupt wieder einen Song geschrieben kriege.
0381-MAGAZIN: Was ist Ihre größte Angst?
Bosse: Dass meine engsten Leute gesund bleiben. Ich selbst war noch nie in einer wirklich extremen Situation, noch nie in Lebensgefahr. Aber bei mir im Freundeskreis geht es jetzt langsam mit den Krankheiten los, die man kriegen kann, wenn man die 35 überschritten hat. Das ist dann immer sehr schrecklich.
0381-MAGAZIN: Es wirkt immer so leicht und locker, wenn Sie auf der Bühne stehen. Ist es das denn wirklich?
Bosse: Ehrlich gesagt: ja. Ich habe in meinem Leben extrem viele Konzerte gespielt, wenn anfangs auch nur vor wenigen Leuten. Ich habe zudem viel moderiert und wirklich jeden Scheiß gemacht. Mit 13 bin ich schon auf dem Hurricane-Festival aufgetreten und mit 17 war ich im Micky-Maus-Club. Mir kann niemand so schnell etwas vormachen. Das Allerwichtigste ist, die Ruhe zu bewahren und sich locker zu machen. Aber ich kenne auch Leute, die sich nach 20 Jahren noch immer vor jedem Auftritt übergeben müssen, weil sie mit der Aufregung nicht umgehen können. Das ist durchaus menschlich. Meine Anspannung ist immer positiv. Bevor ich auf Tour gehe, mache ich mich fit. Die Plauze muss dann weg.
0381-MAGAZIN: Wie wichtig sind Ihnen die Texte im Vergleich zur Musik?
Bosse: Bei mir steht und fällt der ganze Laden mit dem Text. Aber bei den Konzerten ist auch die Musik enorm wichtig. Wenn ein Song einen schlechten Text hat, dann funktioniert er für mich nicht. Und wenn die Mucke schlecht, der Text aber ziemlich gut ist, wäre das für mich durchaus ein Anreiz, eine Platte zu kaufen.
0381-MAGAZIN: Gegenwärtig findet eine öffentliche Debatte über Sexismus und sexuelle Belästigung statt. Gibt es das auch in der Musikbranche?
Bosse: Ehrlich gesagt habe ich davon noch nie gehört. Noch nicht mal von den schlimmsten Hip-Hop-Fingern. Am Ende sind sie dann doch die Zahmsten und Schüchternsten. In der Musikwelt geht es alles in allem ziemlich kollegial zu. Plattenfirmen wurden in den 1990ern immer als großmäulig, schnelllebig und oberflächlich beschrieben. Aber heute lehnt sich eigentlich keiner mehr aus dem Fenster. Man hat verstanden, langfristig zu denken, damit man mit einem Künstler möglichst lange Geld verdient.
OLAF NEUMANN