Musik
Die friedlichste Sprache der Welt – Interview mit Weltklasse-Geigerin und Putin-Kritikerin Lisa Batiashvili
Apr 22
Elisabeth „Lisa“ Batiashvili gehört zu den größten Geigerinnen der Gegenwart. Kurz bevor in ihrer Heimat Georgien ein Bürgerkrieg ausbrach, siedelte sie mit ihrer Familie Anfang der 1990er-Jahre aus der ehemaligen Sowjetrepublik nach Deutschland über. Von hier aus gelang der Musikerin eine Weltkarriere. Die deutsche Staatsbürgerin arbeitet regelmäßig mit Dirigenten wie Daniel Barenboim und tritt mit den berühmtesten Orchestern auf. Mit der Wahlmünchnerin Batiashvili, die energisch die Politik Putins kritisiert, sprach Olaf Neumann.
0381-MAGAZIN: Frau Batiashvili, wie schaffen Sie es, in diesen unruhigen Zeiten zur Ruhe zu kommen?
Lisa Batiashvili: Seit Ausbruch des Krieges bin ich noch nicht zur Ruhe gekommen, weil dieser Stress mich sehr belastet. Meine Verbindung zur Ukraine geht zurück in meine Kindheit. 1989 habe ich an einem Wettbewerb in Odessa teilgenommen. Seit der Annexion der Krim versuche ich aktiv, meine Solidarität mit der Ukraine auszudrücken und die Wahrnehmung für dieses Thema in der Gesellschaft zu schärfen. Ich habe ein paar Menschen erreicht, aber insgesamt war es ein einsamer Kampf.
0381-MAGAZIN: Sie haben Wladimir Putin schon lange vor dem Überfall auf die Ukraine einen Kriegsverbrecher genannt.
Batiashvili: 2008 gab es bereits den russischen Einmarsch in Georgien. Wir hatten das Glück, dass der Krieg nur fünf Tage dauerte und der Schaden nicht so immens war wie in der Ukraine. Wir mussten Putin einen Teil unseres Landes opfern. Mit dieser Destabilisierung hatte er sein Ziel erreicht. Die Ukraine ist aufgrund ihrer Größe ein noch wichtigeres Land als Georgien für ihn. Er bestraft sie, weil sie im Februar 2014 eine heldenhafte Revolution gegen Wiktor Janukovytsch entfacht hat. Eine Million Menschen standen mitten im Winter in den Straßen und auf dem Maidan und wollten nicht mehr nach Hause gehen. Nach viel Blutvergießen ist es ihnen gelungen, sich von diesem System zu befreien. Heute bestraft Putin die Ukrainer immer noch. Wer die Macht hat, in solch einem großen Land wie Russland alles selbst zu entscheiden, muss zwangsläufig verrückt werden und solche Taten begehen.
0381-MAGAZIN: Was glauben Sie, warum hat es nach dem Überfall Russlands auf Georgien, der Annexion der Krim und der Bombardierung Syriens keine flächendeckenden Proteste gegen Putin gegeben?
Batiashvili: Mit dieser Frage lebe ich seit Jahren. Jetzt wachen die Leute endlich auf und protesieren, aber eigentlich ist es schon zu spät. Seine Truppenaktivitäten in den letzten zwei Monaten haben wir nur zur Hälfte wahrgenommen. Uns war nicht bewusst, zu welchen Taten dieser Mensch fähig ist. Die ganze Gesellschaft – die Politiker, die Geschäftsleute, die Sportler, die Musikwelt - hat dafür gesorgt, dass Putin so mächtig geworden ist, weil sie zu sehr mit ihm vernetzt war. Die Ukraine schützt gerade unsere Werte und muss auch für unsere Fehler büßen. Wir haben diesem tollen Land nicht rechtzeitig die Chance gegeben, Teil unserer großen europäischen Familie zu sein. Frau Merkel hat das Thema immer verschoben, weil sie auch Angst vor Putin hatte.
0381-MAGAZIN: „Wenn man irgendwo hinkommt, wo es keinen Krieg gibt, dann ist das schon ein ganz großes Glück", lautet ein Statement von Ihnen. Wird eine friedliche Welt immer eine Utopie bleiben?
Batiashvili: Naja, wir haben es bis vor Kurzem geschafft, für viele Jahre in Westeuropa keinen Krieg gehabt zu haben. Leider ist der Mensch alles andere als perfekt. Seine böse und habgierige Seite ist ein Problem. Unser Erinnerungsvermögen greift einfach zu kurz. Die Geschichte gibt uns Signale, aber wir reagieren nicht darauf, weil wir vieles verdrängen oder denken, dass es jetzt anders ist. Jeder von uns ist generell sehr mit seinem eigenen Leben beschäftigt. Wir haben uns zwei Jahre lang mit keinem anderen Thema beschäftigt als Corona. Nichts hatte bei uns mehr Platz. Aber auf einmal merken wir, dass es noch viel gefährlichere Probleme gibt. Man darf sich nicht nur auf eine Sache konzentrieren, sondern man muss immer wachsam bleiben. Putin hat diese Zeit genutzt. Er kann die Menschen im Westen gut einschätzen. Wahrscheinlich kennt er uns besser als wir ihn.
0381-MAGAZIN: Aber sein „Brudervolk“ in der Ukraine scheint er nicht so gut zu kennen wie geglaubt. Wir können jetzt dabei zusehen, wie die Ukrainer sich auch für unsere Freiheit opfern.
Batiashvili: Das ist für Putin eine Überraschung. Er hatte gehofft, dass er innerhalb von 24 Stunden das Land einnimmt und die Ukraine kapituliert. Aber wahrscheinlich hat er genug militärische Reserven, um das Land außer Kontrolle zu bringen. Momentan sind wir in der Situation, dass wir die Ukraine opfern, wenn wir nicht eingreifen. Sie wird es aus eigener Kraft nicht schaffen, die immer wieder reinrollenden russischen Kolonnen zu eliminieren. Wir haben uns womöglich mit diesem Gedanken schon abgefunden, weil wir einen Weltkrieg unbedingt vermeiden wollen. Ich frage mich: Ist jemand in einem psychischen Zustand wie Putin, der sich zum Ziel gesetzt hat, die Welt zu terrorisieren, fähig, trotz allem den roten Knopf zu drücken? Es gibt die Regel, wenn du es nicht machst, mache ich es auch nicht, aber ich bin mir nicht sicher, ob Putin sich noch an irgendetwas hält. Dieser Mann hat entschieden, den Weg bis zum Ende zu gehen. Weil er weiß, dass er in jedem Fall ein sehr großes Problem hat. Er wird mit Sicherheit vor dem Internationalen Strafgerichtshof angeklagt werden.
0381-MAGAZIN: Vielleicht kann sein engster Kreis ihn ja noch stoppen.
Batiashvili: Das wäre die beste Lösung. Aber auch das Volk hat eine Stimme. Ob die Menschen in Russland überhaupt bereit sind, gemeinsam diesen Mut aufzubringen trotz drohender Festnahme, weiß ich nicht. Aber wenn sie es nicht tun, geht der Terror nie zu Ende. Der letzte Volksaufstand in Russland vor über 100 Jahren wurde von Lenin angeführt. Seitdem haben sie dort dieses undemokratische System, bei dem Anführer bis ans Ende ihres Lebens im Amt bleiben können. Die Russen wissen gar nicht, wie ein Umbruch aussieht abgesehen von dem Zusammenbruch der Sowjetunion, der gegen den Willen des Volkes geschah. Deshalb frage ich mich, ob das Volk jetzt bereit ist für eine Veränderung.
0381-MAGAZIN: Das Volk wird ja belogen. Russische Staatsmedien stellen den Krieg gegen die Ukraine als Befreiungsschlag gegen ein von „Faschisten“ gesteuertes Regime dar.
Batiashvili: Das Problem ist, dass die Menschen in Russland erfolgreich manipuliert werden. Ich erlebe das täglich, denn ich bin sehr aktiv in den sozialen Medien. Man muss die Leute aufklären. Momentan sind sie leider von allen unabhängigen Informationsquellen abgeschnitten, aber ich habe generell Vertrauen in die junge Generation. Ich beobachte hier und auch in Georgien, dass Kinder heutzutage viel mehr wissen als es früher der Fall war. Junge Menschen sind viel wachsamer und beschützen viel mehr die Menschenrechte.
0381-MAGAZIN: Weil russische Künstler und Künstlerinnen wie Valery Gergiev und Anna Netrebko nicht auf Distanz zu Putin gehen, werden weltweit ihre Konzerte abgesagt. Darf man Künstler zu solchen politischen Statements zwingen?
Batiashvili: Dass Künstler nicht politisch sein dürfen, akzeptiere ich nicht. Es geht in der Ukraine auch nicht um Politik, sondern um die Vernichtung von Menschen. Gergiev hat immer zu Putin gehalten und schon zu Zeiten der Annexion der Krim inakzeptable Petitionen unterschrieben. Nachdem Russland die georgische Region Südossetien für unabhängig erklärt hatte, spielte er mit seinem Orchester dort ein Konzert für die Freiheit. Schon damals war sein Doppelspiel inakzeptabel, doch man hat es hingenommen. Ich bin nur ein einziges Mal mit ihm als Dirigenten aufgetreten, und zwar 2014 bei einem Konzert in Rotterdam, wo ich als Reaktion auf ihn ein Requiem für die Ukraine gespielt habe. Im Moment erwarte ich, dass Musiker mehr Haltung zeigen gegenüber dem, was gerade passiert. Diejenigen, die nichts sagen, wollen ihre Zukunft sichern, aber heute ist dafür kein Platz. Nicht nur die Ukrainer, alle Bürger müssen jetzt kämpfen.
0381-MAGAZIN: Sie treten schon seit 2008 nicht mehr in Russland auf. Gibt es dort noch eine unabhängige Konzertszene?
Batiashvili: Höchstwahrscheinlich nicht. Sogar in Georgien läuft es noch nach dem alten sowjetischen System. Ich glaube, dass es für viele russische Musiker wahnsinnig schwer ist, weil sie keine andere Möglichkeit haben. Entweder sie machen mit – oder sie machen gar nichts. Für dieses Problem habe ich keine Lösung.
0381-MAGAZIN: Haben russische Künstler regelrecht Angst davor, sich von Putin loszusagen, weil er sich an ihnen rächen könnte?
Batiashvili: Ich verstehe nicht, warum diejenigen, die im Westen leben, Angst vor ihm haben. Wenn ich das Glück habe, im freien Teil Europas zu studieren, zu leben und zu arbeiten, dann muss ich auch zu diesen Werten stehen. Egal woher ich komme. Ich kann nicht hier eine und dort eine andere Person spielen. Schauen Sie, wie zum Beispiel der Dirigent Kirill Petrenko reagiert, der in seinem europäischen Leben verstanden hat, was Freiheit ist. Wir müssen versuchen, Menschen, die nicht dieses Gefühl der Freiheit haben, mit ins Boot zu ziehen.
0381-MAGAZIN: Sie kamen 1991 nach Deutschland. Wie haben Sie sich als Neubürgerin im Lauf der Zeit an die deutsche Kultur angepasst, ohne Ihre georgische Identität aufzugeben?
Batiashvili: Einerseits wollte ich so schnell wie möglich Teil dieser Gesellschaft werden, anders kann man nicht glücklich werden in einem neuen Land. Ich habe schon mit 13 Jahren hier und da kleine Konzerte in Deutschland gespielt, aber meine georgischen Wurzeln habe ich nie vergessen. Mein von einem Bürgerkrieg geplagtes Heimatland kannten damals nur sehr wenige, man ordnete es Russland zu. Ich habe dann angefangen, georgische Musik als Zugaben zu spielen. Deutschland hat mir in dieser unruhigen Zeit sehr viel gegeben. Dafür bin ich unendlich dankbar. Ich habe jetzt eine Stiftung (www.lisabatiashvili-foundation.org) gegründet, mit der ich begabte Musiker/innen aus meiner Heimat unterstütze. Die Deutschen müssen die Länder verstehen, die sich so sehr danach sehnen, Teil der europäischen Familie zu sein.
0381-MAGAZIN: Können Sie als Georgierin gut nachvollziehen, dass in der Ukraine so viele Menschen bereit sind, ihr Leben für die Freiheit zu geben?
Batiashvili: Ja, weil die Georgier genauso sind! In Georgien ist der Antrieb für die Freiheit sehr viel größer als in einem Land, das seit 75 Jahren frei ist. In Deutschland ist Freiheit selbstverständlich.
0381-MAGAZIN: Was wünschen Sie sich von der deutschen Politik?
Batiashvili: Unsere Außenministerin ist zwar noch sehr jung, aber sie hat eine sehr gute Einstellung zur Ukraine. Ich erwarte, dass gerade Europa gegen solch einen Tyrannen wie Putin kämpft, weil Geschichte sich gerade wiederholt.
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Lisa Batiashvili
Elisabeth „Lisa" Batiashvili wurde 1979 in Tiflis/Georgien geboren und studierte in Hamburg und München. Bis heute wurden der Violinistin zahlreiche Preise verliehen, darunter der MIDEM Classical Award, der Schleswig-Holstein Musik Festival Leonard Bernstein Award und der Beethoven Ring Bonn. Batiashvili wurde 2015 von Musical America zur Instrumentalistin des Jahres ernannt und als Gramophone’s Künstler des Jahres 2017 nominiert. Sie lebt in München und spielt eine Joseph Guarneri „del Gesu“ Violine aus dem Jahre 1739, eine Leihgabe eines privaten Sammlers in Deutschland.
Olaf Neumann
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