Musik aus MV

Es ist fast vier Jahre her, dass wir über die Hinterlandgang berichtet haben. Damals waren sie Anfang Zwanzig und brachten in Eigenregie mit „Cocaine For The Kids“ ihr bereits viertes Album heraus. Heute sind sie Mitte Zwanzig und veröffentlichen „Rosa Mitsubishis“ am 15. März 2024 und damit neben „Maschendraht“ (2022) ihr zweites Album bei Audiolith Records. Anfang April gehen sie auf Tour und werden zum Tour-Finale am 27. April im Peter-Weiss-Haus in Rostock auftreten. 

„Wir sind schnell unterwegs, mit kleinen Autos in großen Städte.“ Ein Schriftzug, der sich durch die aktuelle Timeline des Rap Duos Hinterlandgang zieht. Es hört sich an wie der Schlachtruf der kleinen Dörfer aus Mecklenburg-Vorpommern. Kaum verwunderlich, denn genau daher stammen die beiden Musiker Albert und Pablo, die sich auf dem Dorf Siedenbüssow bei Demmin kennen und lieben gelernt haben. Aufgewachsen mit Zugezogen Maskulin und Feine Sahne Fischfilet im Ohr, rappen sie schon in ihren ersten Titeln plakativ über den „grauen Beton“ des Ostens und bleiben diesem Thema bis heute – jedoch etwas subtiler – treu. Nachdem sie sich nach eigener Aussage bereits 2021 mit „Cocaine for the Kids“ von dem Druck, der Rapszene zu gefallen, freigemacht haben, legen sie am 15. März 2024 mit „Rosa Mitsubishis“ ein Album nach, das seine Stimme gegen Rechts erhebt, den Verlust von Beziehungen thematisiert und die Tristesse der mecklenburgischen Provinzen erneut aufnimmt. „Wir haben das Album beim Chaos Compressor Club (CCC) in Hamburg aufgenommen. Auch ‚Maschendraht‘ ist dort entstanden. Jonas und Björn (CCC) haben unglaublich viel aus uns rausgeholt. Wir haben dort unsere Stimmen gefunden und sind viel besser im Songwriting geworden. Es war immer unser Traum, in einem professionellen Studio an Songs zu feilen und ganz in die Musik einzutauchen. Unsere vorigen Projekte sind mehr oder weniger im Kinderzimmer entstanden. Für das Album haben wir mit mehreren Beat Produzenten zusammengearbeitet. Enchpannt, ein aufstrebender Produzent aus Düsseldorf, war da eine Schlüsselperson. Wir kamen mit Ideen und er hat sie umgesetzt.“

So heißt es in dem Song „Kleinstadtfieber“ zum Beispiel: „Fühl mich hier richtig, hab hier alles was ich brauch. Doch bleib nicht stehen, bleib nicht stehen, sondern lauf.“ Hinterlandgang zeigt mit dieser Textstelle, dass sie in der vorpommerschen Provinz verwurzelt sind. „Wir haben hier unsere Familien und Freunde. Und trotzdem müssen wir weiter. Wir müssen laufen, um unser Glück zu finden. Wir laufen, um andere Menschen kennenzulernen und Erfahrungen zu machen, die unser Leben bereichern. Manchmal laufen wir aber auch weg, oder haben zumindest den Wunsch danach. Wir laufen vor den Hakenkreuzen an der Bushaltestellen und den Faschisten von der AfD weg. Vor einem ungerechten Wirtschaftssystem und einer Gesellschaft, in der vor allem Leistung und Status zählt. Das macht uns manchmal ratlos. Doch stehen bleiben und den Kopf hängen lassen ist keine Option.“ Mit dem Drang, die eigene Lebensrealität zu verändern, machen sie es ihren Vorbildern gleich und rufen 2022 in Demmin ihr eigenes Festival „100 Tage Sommer Open Air“ ins Leben. Das Drum und Dran aus Technik, Catering und Co. stammt bei ihrem erfüllten Jugendtraum aus Mecklenburg-Vorpommern und wird durch einheimische Künstler unterstrichen. Frei nach dem Motto: Du kannst nur etwas ändern, wenn du auch etwas tust. Eine Entscheidung, die sie nicht bereuen und im Juli 2024 bereits die dritte Runde zu erwarten ist. Die zwei geben ihrer Region etwas zurück und machen sie dadurch ein Stück bunter und stärker. „Wir selbst schöpfen aus unserer Musik viel Kraft. Wir beide kennen uns schon unser Leben lang und haben damit etwas, was uns verbindet: einen gemeinsamen Traum. Aber wir schaffen das nur durch die Hilfe anderer Menschen, zum Beispiel unserem Freund Juno Ost, der unsere Artworks macht, Pio, der für uns den Sound macht – egal ob auf unserem Festival oder beim Konzert im Neustrelitzer Jugendgefängnis – und vielen anderen Freunden, die uns unterstützen. Uns macht es glücklich, gemeinsam etwas zu schaffen. Wir glauben, dass wir Jugendlichen in der Provinz damit etwas vorleben können. Wir wollen zeigen, dass man etwas auf die Beine stellen kann, wenn man einander unterstützt und an sich glaubt. Auch, wenn scheinbar alles grau und langweilig ist.“

Bevor Albert und Pablo aber „100 Tage Sommer“ machen, geht es vorab elf Mal in den Club. Mit Start am 4. April in Berlin im Privatclub gehen Hinterlandgang zusammen mit ihrem langjährigen Wegbegleiter DJ Denny auf Tour. Mit dabei ihr aktuelles Motto „Mit kleinen Autos in große Städte“. „Ehrlich gesagt haut uns der Gedanke an die Tour jedes Mal wieder aus den Socken. Wir spielen in Städten in ganz Deutschland und auch in Österreich. Davon haben wir vor zwei, drei Jahren noch geträumt. Wir sind gespannt auf jede einzelne Stadt und werden alles auf der Bühne geben. Wir sind in den vergangenen zwei Jahren live sehr stark geworden und sind zusammen mit unserem DJ Denny ein eingespieltes Team. Unser Booker Artur ist sozusagen der Trainer und motiviert uns jedes Mal aufs Neue. Das Highlight ist natürlich unser Konzert im Peter-Weiss-Haus in Rostock am 27. April. Es war für uns ein Meilenstein, den Club im vergangenen Jahr auszuverkaufen und die Stimmung war unfassbar. Die Leute in Rostock und insgesamt in MV fühlen unsere Songs nochmal anders. Viele können sich mit den Texten, die oft vom Aufwachsen in der Provinz handeln, identifizieren, weil sie Ähnliches erlebt haben. Sie singen deshalb auch so laut mit, dass es uns selbst fast die Sprache verschlägt.“

Antje Benda