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Musik

Kunst. Krise. Subversion. – Deichkind im Interview

Kunst. Krise. Subversion. – Deichkind im Interview

Dez 24
Die Band Deichkind treibt das ironische Spiel mit den Hip-Hop- und Popkultur-Klischees so sehr auf die Spitze, dass die Süddeutsche Zeitung sich allen Ernstes fragte: Ist das noch Musik oder eher maximalistisch-debiles Performancetheater? Mit Mut zur Peinlichkeit wurden Deichkind zu einer der erfolgreichsten Bands in Deutschland. Doch in ihrem aktuellen Opus „Neues vom Dauerzustand“ schlagen sie auch ernste Töne an. Mit den Rappern Kryptic Joe alias Philipp Grütering, Porky alias Sebastian Dürre und La Perla alias Henning Besser sprach Olaf Neumann via Zoom über die Aufgabe von Kunst, die Klimaaktivisten – und Geld.

0381-MAGAZIN: „Neues vom Dauerzustand“ ist Ihr erstes Album seit Beginn der Pandemie und des Ukrainekrieges. Haftet Krisen ein kreativer Mehrwert an?
Kryptik Joe: Ich als Fastendvierziger bin schon lange so, wie ich bin und komme damit auch langsam klar. Aber ich wurde jetzt mit einer neuen Zeit konfrontiert, wobei wir früher auch schon von Krisen gesprochen haben. Aber die waren vergleichsweise paradiesisch. In der Zeit vor der Pandemie ging es bei uns nur noch um höher, schneller, weiter. Rückblickend war uns der Sinn ein bisschen abhandengekommen. Ich bin jetzt mit meinem Homie Porky und mit La Perla noch näher zusammengerückt, weil wir drei eine Schicksalsgemeinschaft sind. Es geht nicht nur um den kommerziellen Erfolg, sondern wir wollen auch mal die Leuchttürme auf einer Platte ernst nehmen, sprich Songs wie „Kein Bock“ oder "Kids in meinem Alter". Deswegen auch der humorvolle Albumtitel. Es ist natürlich kein Dauerzustand, weil sich die Welt in einem rasenden Wandel befindet. 
 
0381-MAGAZIN: Brauchten Sie bei diesem Album einen Life Coach, der Ihnen dabei half, eine Vision davon zu entwickeln, wo Sie hinwollten?
Kryptik Joe Nein, wir haben uns mit eigenen Gedanken aus der Scheiße geritten. Man ist mit einer Krise konfrontiert und man muss handeln. Und dieses Album ist dabei herausgekommen.
La Perla: Wir sind in den letzten Jahren unserer Einnahmequelle beraubt gewesen. Das, was wir machen, galt nicht als systemrelevant. Das macht etwas mit einem. Natürlich hatten wir Existenzängste und Sorgen, wir tragen schließlich Verantwortung für 30 Mitarbeitende, die von Deichkind wirtschaftlich abhängig sind. Die Themen, die wir füher behandelten, konnten wir so nicht noch einmal bringen. Darin liegt aber auch eine Chance. 
 
0381-MAGAZIN: Und zwar welche?
La Perla: Dass wir uns trauen, unser Erwachsensein in die Band-DNA mit aufzunehmen. Was nicht heißt, dass wir das innere Kind nicht weiter pflegen dürfen. Es gibt wahnsinnig viele Themen, die es künstlerisch zu bearbeiten gilt und die sonst in den Medien nicht vorkommen. Die Aufgabe der Kunst für die Gesellschaft ist, eine alternative Perspektive zu bieten, die vielleicht nicht den wirtschaftlichen Logiken bei Firmen entspricht. Die sich traut, sich dem zu entziehen, was Algorithmen verlangen, damit sie dich nach oben spülen. Wenn die Kunst es nicht schafft, alternative Perspektiven zu bieten, muss man sich nicht wundern, wenn niemand mehr zu Konzerten kommt. Es ist nicht die Zeit, sich auf seinen Lorbeeren auszuruhen, sondern man muss mit der gleichen Leidenschaft wie bisher für gesellschaftliche Werte und gewisse Visionen kämpfen. Denn sonst drohen diese verloren zu gehen.
 
0381-MAGAZIN: Geld ist ein Thema Ihres Albums. Hand aufs Herz: Wollen im Musikbusiness nicht alle das ganz große Geld verdienen?
La Perla: Wir sind ein gewinnorientiertes Unternehmen. Der wirtschaftliche Erfolg ist ein Bindeglied zwischen allen, die einen Großteil ihrer Zeit in das Projekt Deichkind einfließen lassen. Aber keiner von uns würde für den maximalen wirtschaftlichen Erfolg die Freiheit aufgeben, mehr oder weniger das machen zu können, was er will. Wir sind bereit, Kompromisse einzugehen, um eine gewisse wirtschaftliche Substanz zu behalten und wollen das unternehmerische Risiko nicht so ausarten lassen, dass wir nachts nicht mehr schlafen können. Würden alle unsere künstlerischen Entscheidungen auf maximaler Wirtschaftlichkeit beruhen, wären wir nicht anders als jedes kapitalistische Unternehmen. Wir hätten dann auch keine neue, verrückte, mutige oder unvernünftige Perspektive zu bieten. Ich will mithelfen, dass Veränderung stattfinden kann. 
 
0381-MAGAZIN: Geben Sie Ihr Geld für Fortschritt aus?
La Perla: Natürlich. Ein bestimmter Prozentsatz unserer Einnahmen fließt in einen Entwicklungstopf. Innovation ist für uns zentral. Wir kreieren neue Dinge, weil uns das am meisten Spaß bereitet. Mit Deichkind können wir heute zum Beispiel ein Video so umsetzen, als wäre es ein Hollywoodfilm. Davon hat man vor 20 Jahren geträumt. Und an unserer Bühnenshow arbeiten wir mit den Expert:innen der Branche. Aber viele Ideen sind nicht zum Nulltarif zu erhalten, gerade wenn sie besonders sind. 
 
0381-MAGAZIN: Wenn man sie danach fragt, gibt ein Großteil der Menschen an, dass Klima und Umwelt schon wichtig seien. Aber dazu bereit, etwas an seinem Verhalten zu ändern, sind jedoch die wenigsten. Haben Sie an Ihrem Verhalten als Band in letzter Zeit etwas geändert?
La Perla: Ich glaube, wir tun da immer noch zu wenig. Aufgrund der wirtschaftlichen Aspekte, die mit der Coronapandemie einhergingen, wurde diese Entwicklung gebremst. Aber deswegen ist es nicht weniger wichtig geworden. Auch wir als Firma und als Band fragen uns, wie wir es schaffen, klimaneutral zu arbeiten bzw. so ein wichtiges Thema in den gesellschaftlichen Diskurs hineinzuführen. Der Song „In der Natur“ ist zusammen mit dem Video unser aktueller Beitrag dazu, aber nicht mit einem Lösungsansatz. Wir sind auch keine Wissenschaftler, die tief in der Materie stehen, aber wir sind dabei, den nötigen Wandel mitzumachen. 
 
0381-MAGAZIN: Wie denken Sie über die umstrittenen Aktionen der Klimaaktivisten der „Letzten Generation“, die zu immer radikaleren Protestmitteln greifen? 
Kryptik Joe: Wenn wir das in die Hand nehmen würden, wären die Aktionen ein bisschen kreativer. Ich kann die Ängste der Aktivist:innen aber nachvollziehen. 
 
0381-MAGAZIN: Bringt eine solche Form des Protests überhaupt etwas? 
La Perla: Wenn das Thema nicht so ernst wäre und die Zeit nicht so drängen würde, würden diese Proteste wahrscheinlich weniger radikal seien. Die Protestler haben das Gefühl, keine andere Wahl zu haben, als zu noch radikaleren Mitteln zu greifen, weil sich ja nicht wirklich etwas tut. Es ist wahrscheinlich schon fünf nach zwölf. Ich persönlich hätte an einigen Punkten andere Grenzen und glaube, es ist wichtig, Allianzen zu bilden. Aber im Hintergrund sind bei der Letzten Generation bestimmt einige schlaue kreative Köpfe, die diese Empöring gezielt herbeiführen wollen, damit das Thema auch in die Gesellschaft reinkommt. In zehn Jahren wird man diesen Menschen dankbar sein. 
Porky: Ich kann mit den Aktivist:innen mitfühlen und ihre Verzweiflung spüren, aber mir fällt kein Beispiel ein, wo Radikalität gut war. 
Kryptik Joe:  In der Kunst. Du bist ja auch ein radikaler Typ!
Porky: Aber rüttelt das jetzt einen Müllwagenfahrer auf?

0381-MAGAZIN: Wut ist ein Zeichen unserer Zeit geworden. In dem Song „Wutboy“ schlüpfen Sie in die Rolle eines so genannten Wutbürgers. Wie fühlt sich das an?
Porky: Man fühlt sich in erster Linie erleichtert, wenn man Unschuldige anblöcken kann. Der Wutboy empfindet auch Ohnmacht, was schlimmer ist als Wut, die eher eine Linderung ist. Bei all diesen Schreihälsen schreit einen eigentlich die Traurigkeit und Verzweiflung an. In meinem Bekanntenkreis sind mehrere ins Schwurbeln geraten, weil sie verzweifelt und handlungsunfähig sind. Das Pöbeln schafft ihnen Raum, um nicht dem eigenen Grauen entgegentreten zu müssen. 
 
0381-MAGAZIN: Wie lenken Sie persönlich Wut und Aggression in konstruktive Bahnen?
Porky: Ich finde es nicht schlimm, in den Wind zu schreien. Aber in dem Moment, wo sich deine Wut gegen Personen richtet, ist es Gewalt. 
La Perla: Wut kann auch ein starkes künstlerisches Kraftfeld sein. Die Frage ist immer, wie man aus solch einem Gefühl heraus einen konstruktiven Text, ein Gedicht oder einen Song schreibt. Oder geht man soweit, dass man in den Sozialen Medien gefährliche Hasskommentare hinterlässt, die die nächste Stufe hin zu realer Gewalt sind. 
 
0381-MAGAZIN: Die Corona-Krise machte auch für Deichkind-Konzerte und Großveranstaltungen unmöglich. Waren Sie wütend auf den Staat wegen der Anti-Corona-Maßnahmen?
Porky: Nein. Ich habe das immer als etwas empfunden, das wieder vorbeigeht. Es ging dabei ja nicht nur um uns, sondern um alle. Ich habe mir natürlich Sorgen gemacht und kritisch darauf geschaut, was für Unternehmen jetzt mit Milliarden unterstützt werden und wie es uns als Künstler geht. 
La Perla: Ich fand es in Ordnung, solidarisch mit älteren Mensch zu sein, um sie zu schützen. Ich hatte aber nicht das Gefühl, dass die Gesellschaft so ganz solidarisch mit der Kulturbranche war. Die hatte am Ende enorme wirtschaftliche Schwierigkeiten. Aber jetzt möchte ich dafür kämpfen, dass Menschen wieder zu Konzerten kommen, weil ich glaube, dass künstlerische Positionen sehr wichtig sind. 
Kryptik Joe: Ich habe nie erwartet, dass ich Hilfen bekomme, weil es unserer Branche sehr gut ging. Aber dann haben wir unseren Berufszweig sehr struggeln sehen. Es gab zum Beispiel Stagehands, die nie etwas zurücklegen konnten. Für die haben wir dann eine Crowdfunding-Kampagne gestartet.

18.12.2024 · 19.30 Uhr · Stadthalle

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