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KINO

Auf eine Zigarette mit Henning Schiele

Auf eine Zigarette mit Henning Schiele

Okt 11
Melancholia

Weltuntergang? Ja! Was haben 'The Hitchhiker's Guide to the Galaxy' und 'Melancholia' gemeinsam? Die Erde explodiert. Was haben sie noch gemeinsam? Nichts! So sieht das aus, wenn große Künstler die Apokalypse drehen, aber wenn Andreas Busche im Zusammenhang mit 'Melancholia' auch Roland Emmerich ins Spiel bringt, dann ist das Bindeglied nicht nur die Apokalypse, sondern auch der Kitsch. Hier kann man sich als Filmemacher ordentlich austoben, und Lars von Trier haut uns mit Schmackes 'Tristan und Isolde' dazu in die Ohren, und auch wenn die Journaille hier zum zwölftausendsten Mal anfängt zu geifern (Siehste, siehste? Hitler war nämlich auch Wagner-Fan), das ist einfach tolle Musik! Nur der Bilderreigen dazu ist mir diesmal zu kitschig geraten. Und der von von Trier mit Recht so verehrte Andrej Tarkowski, auf den sich Lars hier eindeutig wieder bezieht, ist die Apokalypse in 'Opfer' ästhetisch doch anders angegangen.


Wie kam es überhaupt zu 'Melancholia', diesem ästhetisierten Ausfluss an schwarzer Galle? Vermutlich stand eines Tages Lars mal wieder vorm Spiegel (gläsern, aber sonst eher von Tarkowski als von Aust) und unterhielt sich mit den deprimierten Persönlichkeiten seiner Seele. Lars 1 sagte: "Ich hab da noch so ein Dogma-Drehbuch in der Schublade über eine manisch-depressive junge Frau, die ihre eigene Hochzeit zerlegt, weil das für sie alles nicht geht. Das Drehbuch heißt 'Justine', wegen Sade und so. Ich hab aber Angst, dass das nicht so lang, nicht so originell und inzwischen des weltbesten Regisseurs vielleicht unwürdig ist." Daraufhin Lars 2: "Das darf ja auch keine Kopie von Vinterbergs 'Fest' werden. Ich pack mal Wagner rein und mach wieder so eine Eröffnung mit klassischer Musik. Das war in 'Dancer in the Dark' und 'Antichrist' auch schon gut, aber diesmal mach ich ne richtige Opernouvertüre draus, in der alle Motive schon vorweggenommen werden." Lars 3: "Gute Idee, aber wenn der Kohl richtig fett werden soll, muss da noch was bei. Die Frau mit dem liebenswert-trotteligen Vater, der schroff-beknackten Mutter und dem langweilig-schlaffen Ehemann kriegt noch eine paranoide Schwester samt eigener Familie an die Seite." Lars 4: "Zyniker aller Seelenlandschaften, vereinigt euch! Und jetzt holt den Vorschlaghammer! Ich sehe eine grandiose Metapher: Unsere Welt kollidiert mit einem großen Planeten namens Melancholia und verglüht in ihm, denn wie du schon so richtig sagtest, Nummer 1, das geht hier ja auf der Erde alles nicht. Diese ganze Trauer, dieser ganze Schmerz, diese ganzen Probleme. Gott sei Dank drehen wir Filme. Sonst würden wir vier vielleicht schon lange auf dem Dachboden baumeln." Lars 1: "Hm, die Apokalypse also. Aber wer soll das bezahlen?" Lars 2: "Entschuldigung?! Wir sind der beste Regisseur der Welt. Wir werden ja wohl irgendwelche öffentlichen Gelder auftreiben. Zur Not verspreche ich auch, dass diesmal kein Blut mehr ejakuliert und keine Klitoris mehr abgeschnitten wird. Wir zeigen dann halt die Dunst im Brautkleid, wenn sie auf dem beleuchteten Golfplatz pisst und vögelt." Lars 3: "Wie, keine Nacktszene?" Lars 4: "Doch, doch! Die Dunst zieht sich aus, legt sich in den nächtlichen Planetenschimmer und sonnt sich in Melancholie(a). Verstehste?" Lars 1: "Genial!" Und so zogen die vier denn los.


Ja, die Grenzüberschreiter der Kunst! Michel Foucault hat sie geliebt, (fast) alle Kritiker lieben sie, und die Blogger, bei denen es zum Kritiker nicht gereicht hat, tun es manchmal auch; und so liebe ich denn also Lars von Trier. Ich verzeihe ihm, dass er in Pressekonferenzen Scheiße redet [à la: Wenn ihr pampig werdet, weil ich mich gerade über Hitler vergaloppiere, dann erkläre ich mich jetzt eben selbst zum Nazi, bäh! Ansonsten bin ich eh der beste Regisseur der Welt.] (das konnten Stockhausen [à la: Nine-Eleven ist das größte denkbare Kunstwerk] und Kinski [à la: Leckt mich, ihr Mongoloiden!] auch gut). Ich verzeihe Lars auch, dass der zweite 'Melancholia'-Part 'Claire' dramaturgisch reichlich wenig mit dem ersten ('Justine') zu tun hat (ich lasse mich gern eines Besseren belehren). Ich verzeihe ihm, dass er regelmäßig neue Hauptdarstellerinnen (okay, auch manchmal Männer) verschleißt, die seinen eigenen Seelenstriptease - meist in Kombination mit einem körperlichen solchen (Wozu caste ich schließlich schöne Frauen?) - vor der Kamera ausführen müssen und die dann hinterher schweißgebadet davonrennen, während sie nach hinten schreien, dass ihre Besetzung ihnen eine Riesenehre gewesen sei, dass sie aber aus Termingründen für weitere Zusammenarbeiten nicht mehr zur Verfügung stünden - mal sehen, wie das bei Kirsten Dunst so ist; Penélope Cruz hat bei 'Melancholia' vorsichtshalber schon vor Drehbeginn Reißaus genommen und lieber die Piratenbraut gespielt. An dieser Stelle möchte ich Charlotte Gainsbourg meinen tiefen Respekt dafür aussprechen, dass sie jetzt schon ihren zweiten Trier-Dreh überstanden hat, aber die sieht auch schon so krass aus, und vielleicht bilde ich es mir ja nur ein, dass sie immer ausgemergelter wirkt. Aber falls sie mal unsterblicher sein wird als ihre berühmt-berüchtigten Eltern, dann wird sie es Lars zu verdanken haben. 'Lars und die Frauen' ist übrigens keine Doku über von Trier, aber lohnend wäre das Projekt.
Wo wir gerade vom Vergaloppieren sprachen: das tut Kirsten Dunsts Lieblingspferd im Film auch bisweilen; beziehungsweise es kündigt die Zusammenarbeit mit Kirsten/Justine auf und verweigert sich, wofür es von ihr kein Verständnis erntet (was angesichts der Tatsache, dass Justines im Laufe des Films dargebotene Launen gelinde gesagt schwierig sind, nur allzu verständlich wäre), sondern mächtig mit der Knute bearbeitet wird, die arme Kreatur. Überhaupt sind die Pferde wichtig im Film. Die ahnen das Unheil bereits und finden sich letztlich bereits vor den Menschen mit dem Weltuntergang ab.


Aber während Charlotte Rampling, die eigentlich schon lange in einen Trier-Film gehört, hervorragend den Mutterdrachen spielt und die beiden psychotischen Schwestern dem Totentanz immerhin auf ihre Art entgegenfiebern (die Silberne Palme hat Schlafzimmerblick-Kirsten sich hart erarbeitet und verdient), liefern die Männer des Films ein jämmerliches Bild ab: der einfach verschollene Hausangestellte, der eh lieber Bohnen zählt; der von den Brautlaunen tief beleidigte Hochzeitsplaner (Udo Kier mal wirklich witzig); der völlig farblose Ehemann, der nur merkt, dass das mit Justine wohl doch keine gute Idee war; der eigentlich liebenswerte Brautvater, der aber zwischen dicken Frauen und Dummheiten, zwischen Bettys und bêtises, gefangen ist (viel zu selten besetzt: John Hurt); der kapitalistische Widerling von Werbeagenturchef (sehr gut: Stellan Skarsgârd) und sein willenloser Lakai; der geschäftlich und wissenschaftlich versierte, aber letztlich unglaublich feige Schwager (Kiefer Sutherland ebenfalls sehr gut); und schließlich der kleine Neffe, der auch nur behütet werden will, und möchte, dass Justine, seine 'Auntie Steelbreaker', ihm Höhlen zum Verkriechen baut. Da wird Justine am Ende nochmal groß und baut eine Art - zwar nicht Steel-, aber Stickhenge-Tipi für den Kleinen, ihre Schwester und sich, doch angesichts der melancholischen Katastrophe kriegt sie dann wieder das Heulen und alle drei glühen unter Wagner-Getöse davon.


Mein Vater pflegt nach so etwas zu sagen: "Nun sag mir mal: Wer denkt sich diese Scheiße aus und was soll das?" Nun, die erste Frage ist schnell beantwortet: Das tun die vier Larse. Die zweite Frage müsste ich nach längerem Überlegen beantworten wie folgt: "Deine Oberflächlichkeit und dein Spießertum sind die besten Argumente für den Film. Er zeigt uns, dass das hier alles nicht geht."
'Breaking the Waves' war der radikalere Liebesfilm, 'Dancer in the Dark' war der radikalere Fürsorgefilm, 'Idioten' und 'Dogville' waren die radikaleren Gesellschaftskritiken, 'Antichrist' war die radikalere Beziehungspsychose; 'Opfer' war die kitschfreiere Apokalypse; 'Clockwork Orange' war die radikalere Filmoper. 'Melancholia' ist all dies auch, aber leider die Verfilmung des bisher vielleicht schlechtesten Drehbuchs von Lars von Trier. Man kolportiert von Lars ja den Satz, ein Film solle wie ein Stein im Schuh sein, und ich danke Michael Haneke und ihm dafür, dass sie uns regelmäßig Riesenfelsbrocken in die Galoschen schmuggeln. Da darf dann auch mal einer davon unter meinem Fuß zu Staub zerbröseln. Ich bin schließlich auch nur größenwahnsinnig.
Ein großer Filmemacher, große Darstellerinnen, ganz großer Schwachsinn; aber eben groß.

 

Herr Schiele (Jahrgang `77) studierte lange Zeit in Rostock, ist nun Beamter in Hamburg und außerdem Nichtraucher.  



 


Gesine Schuer

1 Kommentar zu „Auf eine Zigarette mit Henning Schiele”


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