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Hafenwachstum frisst Naturräume

Hafenwachstum frisst Naturräume

Mrz 18
Die Rostock Port GmbH hat angekündigt, dass sie in den kommenden Jahren die Fläche des Seehafens verdoppeln wird. Das Unternehmen – das sich zu drei Vierteln in der Hand des Landes, zu einem Viertel im Besitz der Stadt Rostock befindet – würde eine einzigartige Küstenlandschaft vernichten, warnt der Biologe Dr. Joachim Schmidt von der Universität Rostock. Euer Stadtmagazin 0381 sprach mit ihm.

0381-Magazin: Joachim Schmidt, die Seewirtschaft wächst, Rostock Port tut, was im wirtschaftlichen Konkurrenzkampf notwendig ist und Arbeitsplätze schafft. Welche seltene Käferart soll das aufhalten?
Dr. Joachim Schmidt: Das seltene Insekt, die seltenen Arten finden sich bestimmt auch im und am Breitling. Da bin ich sicher. Aber wenn die Naturschützer an dieser Stufe der Konfrontation mit den Industrieplanern angekommen sind, dann ist die Diskussionen schon beendet: Dort die möglichen Arbeitsplätze, hier ein paar Naturschützer, die eine Kröte retten wollen. Aber wir brauchen die Diskussion, weil Naturschutz eben weit mehr ist als die Rettung einer seltenen Art. Bei der Unterwarnow geht es um eine einzigartige Landschaft mit sehr viel Potenzial, sowohl für die Wirtschaft als auch für diverse Natur- und Umweltleistungen. Diese Multifunktionalität muss man einfach erhalten. Die Unterwarnow ist außerdem das einzige typische Lagunenästuar an der ganzen Ostseeküste. Es gibt nur dieses.

0381-Magazin: Was ist denn ein Lagunen-ästuar?
Schmidt: Das ist der komplexe Lebensraum einer flachen Flussmündung, der von stark wechselnden Salzgehalten und enormen Wasserstandschwankungen geprägt ist. Die Lagune ist mit einer Nehrung vom Meer abgegrenzt, die unserem Falle durch das Dünenband von Warnemünde bis Markgrafenheide gebildet wird. Ein Ästuar entsteht nur an einer Senkungsküste, ist also charakteristisch für die südliche Ostsee, im Gegensatz zu Schweden und den anderen nördlichen Ostseeanrainern, an denen sich die Küste hebt. Zum Ästuar gehören auch die bei Sturmhochwasser überfluteten Moore der Binnenküste, die deshalb ebenfalls stark vom Salz des Meerwassers beeinflusst werden.  Genau diese besonderen Verhältnisse haben wir hier an der Unterwarnow, und vor allem in den Bereichen des Breitlings, die noch nicht verbaut worden sind.

0381-Magazin: Stettiner Haff, Lebasee, Kurische Nehrung – Flussmündungen in die Ostsee gibt’s doch genug.
Schmidt: Aber dort hat die Ostsee schon lange nicht mehr den Salzgehalt, der für ein Ästuar prägend ist. Das stärker salzhaltige Nordseewasser ist schwerer als das Ostseewasser, es dringt über dem Meeresboden in die Ostsee vor. Deshalb kommt es nur bis zur Darßer Schwelle. Flussmündungen östlich Rügens sind deshalb von viel geringeren Schwankungen im Salzgehalt geprägt und eigentlich keine Ästuare mehr.

0381-Magazin: Diese natürlichen Bedingungen dürften auch für die Natur schwierig sein.
Schmidt: Sind sie auch. Es gibt tatsächlich nicht so viele Tierarten, die die starken Salzgehaltsschwankungen im Ästuar ertragen. Dafür gibt es aber auch besonders gut angepasste Arten, die das Ästuar in großen Individuenzahlen besiedeln. Der sandige und schlickige Boden ist besonders im Flachwasser voller Klein- und Kleinstlebewesen und ein ideales Aufwuchsgebiet für Krebse, Muscheln, Würmer, Algen … Alles, was Biologen Benthos-Lebewesen nennen.



0381-Magazin: Und die Nicht-Biologen: Das Eklige.
Schmidt: Genau. Aber Fische – zum Beispiel Flundern und Meeräschen – sehen das anders, für sie ist der Boden des Breitlings das, was für die Kühe eine Almwiese ist! Hinzu kommen die idealen Ernährungsbedingungen für Fischarten, die sich vor allem von Plankton ernähren, den Organismen, die im Wasser schweben. Für den Hering ist der Breitling deshalb ein ideales Laich- und Aufwuchsgebiet. Das wird man im Sommer wieder sehen können: Massen von Heringslarven wachsen dort heran! Das Wasser kocht geradezu! Es ist noch gar nicht untersucht worden, welchen Anteil der Breitling für den Heringsbestand in der Ostsee liefert. Da müsste auch die Hansestadt mal ihre Verantwortung wahrnehmen. Immerhin war der wirtschaftliche Erfolg der Hanse eng mit den damaligen Heringsbeständen verknüpft.

0381-Magazin: Ich bin sicher nicht der einzige Rostocker, der noch nie etwas von diesem tollen Lagunenästuar gehört hat.
Schmidt: Ja, das liegt daran, dass die Stadt das Natur- und Landschaftspotential ihrer Unterwarnow inzwischen weitgehend vergessen hat und deshalb auch in der Stadt- und Raumplanung ignoriert. In der unmittelbareren Uferzone sind nur noch wenige Naturflächen übrig – bei der Hundsburg, bei Groß Klein, bei Krummendorf, das kleine Kliffgebiet bei den Oldendorfer Tannen, das Mündungsgebiet des Peezer Bachs … Und eben vor allem die Lagune des Breitlings zwischen Seehafen und Schnatermann. Dort ist das Herzstück des Ästuars.

0381-Magazin: Ist denn jedes dieser Biotope erhaltenswert?
Schmidt: Das müsste man eben diskutieren und dabei das tatsächliche Landschaftspotential berücksichtigen. Für die Ökonomen der alten Schule ist der Breitling industrielle Expansionsfläche für sehr attraktive Kaikanten. Für Stadtplaner müsste dieser Biotopverbund der Unterwarnow aber ein Schatz sein. Dort könnte man auch Tourismus, Naherholung und Freizeitnutzungen entwickeln, was für eine Großstadt besonders wichtige Investitionen sind. Am Ostufer des Breitlings befindet sich ein großes, stadtnahes Landschaftsschutzgebiet, wo Natur- und Umweltschutz leicht mit anderen Nutzungsinteressen verknüpft werden könnten, wenn man das intelligent anstellt. Aber so lange es so leicht ist, aus einem Landschaftsschutzgebiet erst ein Vorbehaltsgebiet und dann ein Vorranggebiet für industrielle Ansiedlungen zu machen, müssen sich die Planer auch nicht um eine intensivere Nutzung der schon vorhandenen Hafenflächen kümmern. Die Hansestadt kann Landschaftsflächen einfach dem Hafen schenken – sie ist ja selbst Gesellschafter.

0381-Magazin: Sehen Sie, dass vielleicht auch Hafenerweiterung und Naturschutz in diesem Gebiet irgendwie zusammenkommen können?
Schmidt: Auf jeden Fall. Die landschaftliche Situation von Rostock ist sogar ideal, um moderne Industrie mit Anforderungen des Umwelt- und Naturschutzes in der Fläche zu verknüpfen. Aber man müsste das erstmal in den Blick nehmen und wegkommen von der expansiven Flächenplanung. Die Hafenwirtschaft verändert sich, also werden sich perspektivisch auch bestimmte Wirtschaftszweige verändern: Wie lange werden wir das Kohlekraftwerk noch brauchen? Welche Flächen sind jetzt schon verbaut und werden nicht oder nicht optimal genutzt?

0381-Magazin: Trotzdem wird insgesamt mehr Hafen hinzukommen, wenn die Fahrrinne von 14,50 Meter auf 16,50 Meter vertieft wird.
Schmidt: Klar: Mehr Tiefgang bedeutet ja auch längere Schiffe. Also mehr Kaikante. Aber müssen wir in der Konkurrenz zum Danziger Hafen den Polen zum Beispiel das Geschäft mit dem Getreidetransport streitig machen? Getreide wird in Europa subventioniert angebaut und dann billig in den Nahen Osten und nach Afrika verschifft. Dort macht es die regionale Landwirtschaft kaputt, erzeugt Abhängigkeit, Armut und Landflucht. Das wird schon lange kritisiert. Wer also die Notwendigkeit zur Seekanalvertiefung mit solchen wirtschaftlichen Interessen begründet, sollte sich auch über die globalen Folgen im Klaren sein.

0381-Magazin: Joachim Schmidt, danke für das Gespräch.

FRANK SCHLÖSSER

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