Report
Rostocks verschwundene Orte – die MS Stubnitz
Mrz 18
Es war einmal … da hatte Rostock einen Namen in der deutschen Clubszene, weil in seinem Stadthafen ein Schiff lag, auf dem immer wieder angesagte Bands und Insidertipps aus ganz Europa und der ganzen Welt spielten.
Ein altes, ein bisschen rostig wirkendes Wasserfahrzeug, auf dem man tanzen, sich treffen, aber auch arbeiten konnte. Eigentlich war es nicht mehr und nicht weniger als das Kühl-Transport-Schiff der DDR Hochsee-Fischfangflotte ROS-701 MS Stubnitz, das am 01. Juni 1964 in der damaligen Volkswerft Stralsund vom Stapel gelaufen war. Dann aber kam die Wende, und eine bunte und aus verschiedensten Ecken Deutschlands und Europas kommende Gruppe von Künstlern und Aktiven nahm sich des Schiffes an. Sie gründeten den Rostocker Kulturschiff Stubnitz e.V. und bauten es zu einer schwimmenden „Plattform für Musik, kulturelle Produktion, Dokumentation und Kommunikation“ um. Aus Laderäumen wurden Veranstaltungsräume, das Angebot an Live-Musik, Performances und Ausstellungen wuchs stetig – im Jahre 1998 waren es ungefähr hundert Events für fast 30.000 Besucher im Jahr. Viele davon reisten aus Hamburg und Berlin an, um angesagte Bands zu erleben, in Rostock fremdelte das Publikum.
Das alles gelang zusammen mit einer Crew von Rostockern, denen das Schiff für eine Zeit Lebensort, gefühlter Heimathafen und Arbeitsplatz gleichermaßen war. Noch heute erzählen einige von ihnen mit glänzenden Augen über „ihre“ Zeit auf dem Schiff. Es wurde instandgesetzt, gewartet und gepflegt – immer mit dem Ziel, die Seetüchtigkeit und das Gefährt damit als schwimmendes Denkmal zu erhalten. Das bedeutete Aufwand und Kosten und war bei moderaten Eintrittspreisen nicht ohne öffentliche Gelder zu schaffen. Zudem reiste die Stubnitz immer wieder durch Europa, gastierte als „Kulturbotschafterin“ unserer Stadt in Häfen wie London, Newcastle, Amsterdam, Kopenhagen, Brügge, Szczecin und Riga. Während es dort Begeisterung hervorrief und Menschen Schlange standen, wurden in Rostock Stimmen lauter, die monierten, man bekomme für das lokale Geld zu wenig „Leistung vor Ort“. Dringend benötigte Gelder wurden gekürzt, der nächste notwendige Werftaufenthalt geriet in Gefahr. Eine Rostocker Initiative bemühte sich, die Anbindung des Schiffes an die Stadt zu stärken, eine engere Kooperation mit der lokalen Clubszene aufzubauen. Immer mehr aber regte sich auch der Trotz der Crew, die sich von der Stadt nicht angemessen geschätzt fühlten. Die Stubnitz sei nicht nur eine besondere Location, sondern mache Rostock auch in ganz Europa bekannt. In der Stadt vermisste man die Dankbarkeit fürs Geld, aus Kooperation wurden verhärtete Fronten. Viele lokale Entscheider hatten das Schiff nie betreten und waren deshalb unempfänglich für seinen Charme.
Das Ende vom Lied: Das Schiff kehrte von einem Gastaufenthalt in Hamburg nicht mehr zurück und liegt seit dem am dortigen Kirchenpauerkai am Rande der Hafencity – unverändert mit einem eindrucksvollen Eventprogramm. Was Rostock bleibt, ist ein leerer Liegeplatz, zumindest in den Köpfen der ehemaligen Besucher, ein Gefühl, das ein Rostocker wie folgt beschreibt: „Als ich vor kurzem mit dem Zug von Rostock nach Köln unterwegs war und in Hamburg aus dem Fenster schaute, fühlte ich eine plötzliche und unerwartete Energie in mir aufsteigen. Meine Füße begannen zu zappeln, ich suchte umgehend in meinen MP3-Player nach sperriger und quietschender Musik und drehte sie voll auf. Denn für wenige Sekunden sah ich eine Erinnerung durch das Fenster aufblitzen. Die Stubnitz lag vor mir, einfach so, mitten in Hamburg und vermittelte den Eindruck, als könnte ich sofort an Deck gehen und alles wäre sofort wieder wie damals in Rostock. Ich vertiefte mich in die Musik, schloss die Augen und ging unter Deck.“
Die Hoffnung, das Schiff zum Stadtjubiläum als Gast im Rostocker Stadthafen begrüßen zu dürfen, erfüllte sich nicht. Ist also ein Gefühl alles, was uns vom verschwundenen Ort MS Stubnitz bleibt? Immerhin könnte dieses Empfinden der Sehnsucht und der vertanen Chance sich mit der Erkenntnis paaren, dass es wichtig und kostbar ist, Heimatort eines „Leuchtturmprojekts“ zu sein. Dass man so etwas nicht leichtfertig aufgeben sollte, weil nicht einfach kurz darauf die nächste Gelegenheit in die Stadt schneit. Gemeinsam könnten Gefühl und Erkenntnis zur Triebkraft werden, die uns hilft, nach neuen Projekten dieser Art zu suchen. Und, wenn sie uns dann mal wieder in den Schoß fallen, froh und glücklich darüber zu sein. Sie zu hegen und zu fördern. Weil es Orte wie die Stubnitz sind, die stolz auf eine Stadt machen und uns das Gefühl geben, sie habe eine einzigartige, uns berührende „Seele“.
André Knabe und Kristina Köbe
Foto: Jens-Peter Randt
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