Bühne
El Snyder – der Sünder aus dem Ruhrgebiet
Sep 24
Helge Schneider ist ein Meister darin, in seinen Bühnengeschichten Wirklichkeit und Fantasie miteinander zu verweben – ganz wie es beim Baron von Münchhausen der Fall gewesen ist. Deshalb geht der Münchhausen-Preis der Stadt Bodenwerder in diesem Jahr auch an den Musikclown aus Mülheim an der Ruhr. Dass dem 68-Jährigen der Erfolg nicht zu Kopf gestiegen ist, liegt vielleicht auch daran, dass er schon 50 Jahre im Geschäft ist und sich langsam nach oben arbeitete. Im Gespräch mit Olaf Neumann in Berlin erinnert der mehrfache Vater und Großvater daran, wie wichtig Humor gerade in schweren Zeiten ist.
0381-MAGAZIN: „Grenzen auszuloten und Neues zu wagen" – das sind für NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst Ihre herausragenden Fähigkeiten. Warum muss Kunst Grenzen ausloten?
Helge Schneider: Kunst ist grenzenlos. Als Künstler muss man komischerweise heute immer ausloten, wie weit man gehen kann und ob man möglicherweise jemanden verletzt. Ich verletze eigentlich niemanden, indem ich einen Sombrero aufsetze, aber es könnte ja sein, denkt man jetzt. Eine ziemlich bescheuerte Situation; man muß aufpassen, dass man da nicht reingerät. Es ist sehr schwer, Künstler zu sein, wenn die Gedanken nicht mehr frei sind. Diese Zeiten jetzt sind eigentlich sehr kunstfeindlich. Was Musik angeht: Sie ist eine ganz besondere Sache, sie ist eigentlich eine Art Element, so wie Wasser oder Luft. Sie ist da. Ohne Worte. Da kann man nichts falsch machen.
0381-MAGAZIN: Gibt es in Ihrer Kunst Regeln? Oder ist bei Ihnen erlaubt, was gefällt?
Schneider: So würde ich es nicht sagen. Kunst ist nichts anderes als ein Gefühl. Wenn jemand etwas malt, hat er sich dabei etwas gedacht, muss es aber nicht erklären. Derjenige, der sich das Bild anschaut, kann darüber denken, was er will. Auch wenn es negativ ist. Kunst darf nicht verboten sein, weil sie die Zeit widerspiegelt, auch die Gefühle der Menschen. KI ist übrigens keine Kunst.
0381-MAGAZIN: In „Guten Tach. Auf Wiedersehen“ schreiben Sie, dass Improvisation viel mehr Talent erfordere als Notenlesen. Ist Improvisation nicht nur ein integraler Bestand Ihrer Arbeit, sondern des ganzen Lebens?
Schneider: Ja. Jeden Tag kann etwas passieren, wodurch man improvisieren muss. Und wenn man gut darauf vorbereitet ist, erspart man sich Sorgen. Das liegt daran, dass ich das Leben auch mal aus einer anderen Perspektive gesehen habe. Als ich jahrzehntelang hart gearbeitet, aber nichts verdient habe. Diese Erfahrung ist heute mein Reichtum.
0381-MAGAZIN: Sie sind seit Jahren Teilzeitberliner. Man sagt, das typische Lebensgefühl in der Hauptstadt sei geprägt von Freiheit, Spontanität und Flexibilität. Kommt Ihnen das sehr entgegen?
Schneider: Ich habe mindestens vier Kinder, die in Berlin sesshaft geworden sind, also halte ich mich manchmal auch in Berlin auf. Wäre ich 1973 nach Berlin gezogen, wäre ich von der Bundeswehr befreit worden. Aber ich habe es auch so geschafft, da nicht hinzumüssen.
0381-MAGAZIN: Wie denn?
Schneider: Ich bin elf Mal umgezogen und früh Vater geworden. Ich habe auch verweigert, aber bei den Verhandlungen kläglich versagt. Aber es hat ja dann irgendwie hingehauen. Vielleicht haben die gemerkt, dass ich ungeeignet bin für sowas.
0381-MAGAZIN: Welchen Einfluss hatten Ehrgeiz und Begabung auf Ihre Karriere?
Schneider: Ich weiß nicht, ob man es Ehrgeiz nennen kann, wenn man wie ich den ganzen Tag irgendwie mit Musikinstrumenten verbunden war. Ich bin auch immer im Rhythmus spazierengegangen. Es steckte aber kein Plan dahinter. Mein Plan war: Eile mit Weile. Ich wollte nicht schnell etwas können, sondern für mich war der Weg das Ziel. Ich erfreue mich heute noch an dem, was man alles lernen kann. Das motiviert mich immer wieder neu.
0381-MAGAZIN: Wann wurden die Medien auf Sie aufmerksam und fühlten Sie sich von den Kritikern gleich verstanden?
Schneider: Das fing an, als ich Anfang 20 war. Ich habe mich insofern verstanden gefühlt, als dass die Kritiker überhaupt nicht wussten, wie sie das beschreiben sollten, was ich machte. Und genau das wollte ich. Die Überschriften lauteten „Abstruser Humor" oder "Die Kunst des Versagens“. Damit man überhaupt auf mich aufmerksam wird, habe ich früh angefangen, Plakate selber zu entwerfen, zu drucken und aufzuhängen. Ich bin auch persönlich zu Zeitungen gegangen, um dort Konzertankündigungen mit Fotos abzugeben. Nach dem Auftritt habe ich dann da sogar eine selbstverfasste Kritik hingeschickt.
0381-MAGAZIN: Und die wurde auch abgedruckt?
Schneider: Ja. In der NRZ stand zum Beispiel drin, wie ich meinte, wie das Konzert ungefähr gewesen ist. Überschrift: "Helge Schneider begeisterte sein Publikum". Und ich habe einen anderen Namen druntergesetzt. Die kamen natürlich schnell dahinter, aber sie waren guten Willens. Die Zeitungen empfanden das, was ich machte, als außergewöhnlich. Ich kam auch schnell aufs Titelblatt der Zeitschrift "Blitz“.
0381-MAGAZIN: Hat es in Ihrer Karriere Kritiken gegeben, die Sie als Künstler entscheident vorangebracht haben?
Schneider: Ja, aber in ganz kleinen Schritten. Einmal habe ich eine Kritik und ein Anschreiben ans Pantheon in Bonn geschickt, weil dieser Laden von Komikern oder Kabarettisten geleitet wurden. Die waren die ersten, die mich einluden. Durch eine Freundin aus München durfte ich in dort in einem Hinterzimmertheater auftreten. Am ersten Tag kamen vier Leute, am zweiten acht und am dritten 25. 1976 war ich das erste Mal als Musiker in Berlin, wo wir u.a. im Quasimodo spielten. Ich war schon mal 1972 in Berlin, aber privat. An dem Tag im Quasimodo hatte ich Grippe und schwitzte total. Angekündigt wurde ich als „El Synder, der Sünder aus dem Ruhrgebiet". Als Ersatz für eine hochkarätige Punkgruppe, die nicht kommen konnte. Ich glaube, die hießen Sex Pistols. Das war allerdings eine Blamage, aber nur vor einer Handvoll Leuten. 20 Jahre später bin ich dann in einem Kino mit Muttertag Five aufgetreten. Der Laden war brechend voll, und wir sind sofort berühmt geworden. In Berlin.
0381-MAGAZIN: Was hat sich in den 50 Jahren Ihrer Karriere an Ihrer Branche grundlegend geändert?
Schneider: Ich fand es früher immer gut, dass man sich an der Abendkasse Tickets kaufen konnte. Man konnte spontan irgendwo hingegen, ohne Karten vorbestellt zu haben. Heute muss man sich die anderthalb Jahre vorher kaufen. Das ist irre, aber man ist gezwungen, das mitzumachen. In unserer modernen Zeit muss man vieles einfach schlucken. Zum Beispiel, dass alles so unpersönlich geworden ist. Deshalb muss man gucken, dass man so persönlich wie möglich bleibt. Und das mache ich eben auf der Bühne.
0381-MAGAZIN: Ihr aktuelles Album "Live in Graz" ist eine Independent-Produktion. Bei einem Major-Label hätten Sie Zugang zu einer Geschäfts-Infrastruktur, die Ihre Musik für viel mehr Leute zugänglich machen kann. Warum verzichten Sie darauf und arbeiten lieber mit kleinen Indie-Firmen?
Schneider: Das ist für mich einleuchtend, da bin ich freier. In die Charts zu kommen interessiert mich nicht mehr, weil ich da schon einmal war. Ich habe sogar eine Goldene Schallplatte bekommen für 600.000 verkaufte Doppel-LPs von „Es gibt Reis, Baby!“. Heute gibt es die schon für 8000 CDs. Darauf bin ich nicht erpicht. Eine meiner schönsten Platten ist die Doppel-LP „Die Reaktion“, die ich am Anfang der Pandemie gemacht habe. Sowas kannst du nicht bei einer Major Company herausbringen. Ich bin jetzt vollkommen frei, und das bewährt sich auch.
0381-MAGAZIN: Zu Ihren Einflüssen gehören legendäre Komiker wie W.C. Fields, Louis de Funes, Charles Chaplin, Stan & Ollie. War der Humor früher anders, anspruchsvoller, anarchischer?
Schneider: Wahrscheinlich war er anarchischer. Laurel & Hardy zum Beispiel waren absolut Oberklasse. Die Leute denken, das ist Humor für Kinder, aber das stimmt nicht. Es ist Humor für alle. Es gibt nichts besseres als Stan & Ollie, weil die mit kindlichem Gemüt arbeiten - und das ist vollkommen lustig. Sie kommen nie mit erhobenem Zeigefinger daher. Bei Charlie Chaplin ist das anders. Seine Figur der Tramp zeigt den Menschen, wie bescheuert sie sind.
0381-MAGAZIN: Ist der Helge Schneider auf der Bühne auch eine Kunstfigur?
Schneider: Ich glaube schon, er ist so ein Halb-Helge. Seine Botschaft ist, frei zu sein. Die Menschen sollen sich selber nicht so ernst nehmen, auch die Arbeitswelt und den Chef nicht. Die Kinder sollen die Eltern nicht so ernst nehmen und umgekehrt. Wir sind nicht auf der Welt, um Trübsal zu blasen, sondern es gibt auch noch die andere Facette. Das ist mir sehr wichtig.
0381-MAGAZIN: Lachen die Leute heute noch bei den gleichen Themen wie damals?
Schneider: Die Menschen denken, sie wären in den letzten 100 Jahren intelligenter geworden und meinen, sie müssten jetzt über Dinge lachen, die auch intelligenter sind. Aber vom Gefühl hat sich im Grunde nix geändert.
17.10.2024 · 20.00 Uhr · Stadthalle
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