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Jörg Becker: Der Mann mit Herz
Sep 24
Das Gespräch mit Jörg Becker liegt jetzt schon drei Monate zurück. Damals ging es eigentlich um die Vorbereitungen der Veranstaltungsreihe „Leben mit dem Tod“ vom Künstlerisch Kreativen Treff im Stadtteil (KKTS) der GGP, zu der er einige seiner Bilder beisteuerte. Ein Thema, das uns alle betrifft, aber Jörg ist irgendwie ein Stück näher dran. Er ist dem Tod schon mehrfach von der Schippe gesprungen und hält sich bis heute wacker. Zwei Herzinfarkte, ein Spenderherz, Leistenbruch und COPD sind nur die Schlagworte zu seinem kurvigen Lebensweg.
Jörg Becker kommt eigentlich aus Bayern und ist wegen seiner damaligen Frau 2017 nach Bad Doberan gezogen, um im Norden zu leben und als Heilerzieher zu arbeiten. Gäbe es seine beiden Kinder nicht, die ebenfalls in Doberan leben, wäre er wohl schon längst wieder zurück in seine Heimat gezogen. „Noch habe ich das Bedürfnis, in ihrer Nähe zu sein, also bleibe ich auch hier.“ Bis es so weit ist, fährt er dreimal die Woche nach Rostock, um die KKTS in der KTV zu besuchen und malerisch die letzten Jahre zu verarbeiten. Er schwingt die Pinsel, taucht sie tief in die Farbe ein und malt auf die Leinwand, was ihm in den Sinn kommt und therapiert sich dadurch ein Stück selbst. „Ich hatte Anfang 2020 zwei Herzinfarkte hintereinander, von denen sich mein Herz nicht erholt hat. Ich lag dann zwei Jahre im Herzzentrum in Berlin zwischen Hoffen und Bangen, ob sich denn ein Spenderherz finden würde.“ Jörg stand auf der sogenannten HU-Liste (Hoch-Dringlichkeitsliste), während er an den Maschinen hing und voll isoliert war. Bedingt durch Corona durften seine Kinder ihn nicht besuchen. Am 18. März 2021 sollte es dann soweit sein: Ein Herz war gefunden. „ Eineinhalb Tage später bin ich wach geworden, was schon mal gut war.“ Nach der OP fielen dann seine Nieren aus und es folgten sechs Wochen Dialyse, was den Heilungsprozess noch stärker verzögerte. „Die Ärzte sagten im Scherz, ich solle mal die Hand runternehmen. Ich war nämlich im Vorfeld auch der einzige auf der Station, der Corona hatte.“
„Ich habe jetzt ein ganz anderes Leben, als ich es vorher hatte. Ich arbeite heute noch daran, das zu akzeptieren.“ Im Krankenhaus fing Jörg an zu malen. Er ließ sich Blöcke und Stifte bringen und zeichnete darauf los, wie andere Bücher lesen oder Musik hören. „Als ich das Krankenhaus nach gut zwei Jahren verließ, hatte ich zwei volle Möbelkartons mit Bildern.“ Er hat einige seiner Bilder nach und nach in seiner Wohnung aufgehängt. Sein Zuhause ist zu seinem Wohlfühlort geworden. Die Idee, die KKTS zu besuchen, hatte seine Ansprechperson im Sozialamt, die ihn im Herbst 2022 nach Rostock schickte und es als eine Chance zur Eingliederung sah. „Es war Liebe auf den ersten Blick. Ich bin in die Räume rein gekommen und wollte auch gar nicht mehr gehen. Es war alles so stimmig.“ Vor seiner Krankheit arbeitete Jörg als Heilerzieher auf der anderen Seite, wie er selbst sagt. „Es fällt mir noch immer schwer, selbst nach Hilfe zu fragen und diese auch anzunehmen. Jetzt krieg ich noch nicht mal die Wasserflasche auf. Und das ist scheiße.“ Morgens und abends muss er eine Handvoll Tabletten nehmen, damit das Organ nicht abgestoßen wird; er darf vieles nicht mehr essen und trinken. „Ich bin froh, dass ich trotzdem noch das Positive aus meinem Leben ziehe. Deswegen habe ich auch wieder mit dem Malen angefangen.“
Er verarbeitet und vermittelt mit seinen Bildern in der Kunsttherapie, die ihm Spaß macht und auch Anerkennung durch seine Betrachter erhält. Es hilft ihm, über seine Erfahrungen zu sprechen, sich seine Gefühle und Gedanken aus der Seele zu zeichnen und Unterstützung zu bekommen. Wichtig ist ihm, dass die Menschen sich dem Thema der Organspende zuwenden. Ohne ein Spenderherz hätte Jörg nicht überlebt. Es ist zwar ein beengendes Gefühl, das Herz einer anderen Person zu tragen, aber er lebt. „Ich muss allerdings gestehen, das nochmal durchzumachen, hätte ich nicht die Kraft.“ Jörg ist bewusst, dass das Leben endlich ist. Sein Ziel wäre es, noch siebzig zu werden und sollte dann der unausweichliche Moment kommen, wünscht er sich, dass seine Asche auf dem Tegernsee verstreut wird.
Info zur Organspende in Deutschland
In Deutschland gibt es seit dem 18. März 2024 neben dem Organspendeausweis und der Patientenverfügung auch die Möglichkeit, sich digital im Organspende-Register zu registrieren. Dieses wird aktuell Schrittweise aufgebaut und soll freiwillig und kostenlos festhalten, ob jemand Organ- oder Gewebespender werden möchte, oder eben nicht.
ANTJE BENDA
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