Bewusst Leben
O(b)stasien
Jan 25
Ex-Olympionikin Annika Walter war von 2014 bis 2020 Inhaberin eines Yogastudios, unterrichtete dort verschiedenste Altersgruppen und gibt heute – aus reiner Freude daran – noch gelegentlich Kurse.
Ich habe seit langem eine Schwäche für Ostasien. Meine erste Reise in diese Region ging nach China – im letzten Jahrtausend -, um genau zu sein war das 1994. Als aktive Sportlerin waren Wettkampfreisen nach China, Thailand oder Japan für mich die schönsten. Die Tempel, die Architektur, das Essen, die kulturellen Unterschiede. Viele Lebensweisheiten haben seit langem Ihren Weg in die westlich geprägte Kultur gefunden. Ikigai, Kaizen, Ausmisten nach Marie Kondo … doch eine besondere Sitte hat sich bislang noch nicht durchgesetzt. Das Verschenken von Obst. Am bekanntesten ist diese Angewohnheit wohl aus Japan. Aufgrund der begrenzten Landfläche – die japanischen Inseln bestehen zu einem großen Teil aus Gebirgen – gibt es nur wenig Platz für ausgedehnte Obstwiesen. Traditionell hat sich die Landwirtschaft dort aufs Gemüse eingeschossen. Umso kostbarer ist also jeder Pfirsich, jede Kirsche. Es ist deshalb auch verständlich, warum Früchte im Land des Lächelns beliebte Geschenke oder sogar in den Luxusgüterabteilungen von Einkaufstempeln zu finden sind. Obst hat in ganz Ostasien von jeher einen hohen Stellenwert. Es drückt Wertschätzung aus, wenn man Freunde, die Familie und Geschäftsleute mit besonderen Früchten beschenkt. Auserlesene Erdbeeren, Äpfel oder Melonen sind beliebte Geschenke für Geburtstage, Geburten oder Hochzeiten. Oft verschenkt man dort auch Obst, wenn man sich für einen Gefallen bedanken will. Ganz oben auf der Skala stehen angeblich Honigmelonen. Nun bin ich nicht der Meinung, dass man hunderte von Euros für eine perfekt gemusterte Melone ausgeben muss, um einem lieben Menschen eine Freude zu machen, aber wir alle kennen das Problem mit den kleinen Aufmerksamkeiten. Was überreicht man hierzulande als kleines Dankeschön? Schokolade und Alkohol sind wohl die Klassiker. Und ich bin sicher, die Geste wird immer geschätzt. Ganz einfach, weil die Geste selbst sehr liebenswert ist. In Zeiten, in denen Gesundheit und Süchte immer mehr thematisiert werden, ist es eigentlich merkwürdig, dass wir Alkohol und Schokolade noch immer als die angemessensten Aufmerksamkeiten betrachten. Ich bin rein geschmacklich weder für das Eine noch das Andere ernsthaft zu begeistern. Habe ich die Wahl zwischen Obst und Schokolade, entscheide ich mich in neunzig Prozent der Fälle für das Obst. Alkohol trinke ich nur selten, und niemals allein. Wein oder Sekt, den ich geschenkt bekomme, steht oft ein bis zwei Jahre bei mir herum. Mein Besuch trinkt meistens eine Tasse Tee und die Kekse bleiben immer öfter stehen, weil ich meist auch etwas Obst auf dem Tisch stehen habe. Nicht, weil ich meine Gäste missionieren will, ich liebe einfach frisches Obst und Gemüse. Am besten ohne viel Tamtam. Mein Lieblingsessen ist Caprese, an den Obstkorb im Hotel Atlantic erinnere ich mich immer noch gern, in der Schwangerschaft war ich verrückt nach Nektarinen und ein Teller geviertelte Tomaten - nur mit etwas Salz und Pfeffer, gewürzt und vom Lieblingskollegen wortlos auf den Tisch gestellt - ist für mich der Inbegriff des kleinen Glücks. So richtig häppy war ich auch immer, wenn mir die entzückenden Seniorinnen zum Yoga mal eine Pepino oder Maracuja mitbrachten. Obst, dass ich mir selbst vermutlich nie kaufen würde. Haben Sie schon mal eine Drachenfrucht probiert? Oder eine Cherimoya? Die bieten auf jeden Fall Gesprächsstoff. Wo kommen diese Früchte eigentlich her und wie ist man sie am besten? Es darf für mich aber auch ganz simpel sein. Neulich bekam ich selbstgemachte Marmelade und einen krachfrischen Apfel und tänzelte – selig kauend und mit einem zufrieden Lächeln auf dem Gesicht – nach Hause. Was dem einen sein Schokoladencroissant ist, ist dem anderen ein knackiger Braeburn. Als – leider nur mäßig begabte – Kleingärtnerin sehe ich Obst vielleicht auch einfach nur mit anderen Augen. Von der wunderschönen Blüte meines Kirschbaums im Frühjahr, über die leuchtend roten Walderdbeeren im Frühsommer, bis zu den reifen, lieblich duftenden Birnen im Herbst bedeutet Obst für mich die reinste, süßeste Freude. Nicht nur das Obstessen. Die Farben, der Duft, das kleine Naschen zwischendurch, alles ist irgendwie verbunden mit Unbeschwertheit und Leichtigkeit. Der Geruch von Wassermelone ist untrennbar mit dem Sommer gekoppelt, die raue Rinde eines Kirschbaums mit Kindertagen, an denen man sich Kirschen an die Ohren hängte. Himbeeren, die direkt vom Strauch in den Mund wandern, erinnern an Tage, an denen man endlos Zeit und keinerlei Verpflichtungen hat. Zu sehen, wie die Blüten leuchten, dann verwehen und sich die Früchtchen im Anschluss langsam entwickeln und färben ist schon ein Genuss für sich. Gemüsegärten sind dicht dran, aber Obstwiesen sind das wahre Paradies. Obst zu verschenken, ist also keineswegs banal, sondern als beschere man ein kleines Stück vom Garten Eden.
Alles Liebe!
Annika Walter
/*