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Bewusst Leben

Sie stehen für den Anfang ... und sind doch am Ende

Sie stehen für den Anfang ... und sind doch am Ende

Jan 25
Wie Hebammen akuter denn je um ihre Existenz kämpfen

Stell dir doch mal vor … 
… Du erfährst von deiner Schwangerschaft. Du bist aufgeregt und hast so unendlich viele  Fragen im Kopf, die dir deine Gynäkologin auch nur rasch und ohne die nötige Ruhe  beantworten kann.  
… Du hast Schwangerschaftsbeschwerden. Welche, die dir vielleicht auch unangenehm  sind, 
aber niemand ist da, mit dem du drüber reden kannst. 
… Du bist unsicher und hast Angst vor der Geburt und vor der Zeit, die danach kommt,  
aber niemand ist da, der dich vorbereitet. 
… Dein Kind ist auf der Welt, aber das Stillen will einfach nicht funktionieren und schmerzt,  
obwohl du es dir so sehr wünscht und du bekommst keine Hilfe. 

Hebammen stehen für einen sehr kurzen, aber enorm wichtigen Zeitpunkt im Leben – den Start. Sie helfen seit Generationen in einer sehr sensiblen Lebensphase und praktizieren ein Handwerk, das deutlich mehr Anerkennung verdient. Am 6. Dezember 2023 wurde das Hebammenwesen von der UNESCO übrigens zum Weltkulturerbe ernannt. Immerhin. Die Miete kann dieser Titel aber leider auch nicht zahlen. Die Honorare der  Hebammen wurden seit Jahren nicht mehr angepasst und die Lage hat sich verschärft. Die Geburtenrate ist derzeit so niedrig wie schon lange nicht mehr. Im Jahr 2020 waren es  2883 Kinder, die in Rostock das Licht der Welt erblickten. Bis zum vergangenen Jahr 2023 ist die Zahl kontinuierlich gesunken auf 1488 Kinder. Auch im Jahr 2024 sei diese Zahl noch weiterhin rückläufig.* 
Kathrin Herold, Vorsitzende des Hebammenverbandes Mecklenburg-Vorpommerns und freiberufliche Hebamme aus Rostock, hat für das kommende Jahr bisher erst eine  Anmeldung auf dem Schreibtisch. Noch vor der Pandemie mussten sich werdende Eltern  schon möglichst direkt nach dem positiven Schwangerschaftstest um eine Hebamme  kümmern. Die Nachfrage war enorm und Absagen gehörten zur Realität, es herrschte ein Hebammenmangel.  

Das Problem liegt jedoch ganz woanders 
Die Hauptproblematik ist nicht primär der Geburtenrückgang. Sondern die seit 2017 nicht mehr angepassten Honorare der Hebammen. Die letzte Erhöhung ist sieben Jahre her. Seither ist eine Menge passiert: Inflation, Pandemien und dadurch erschwerte Arbeitsbedingungen. Die rückläufigen Geburten machen das Problem nun erst richtig sichtbar. „All die Jahre gab es einen extremen Hebammenmangel. Und die Hebammen  haben diese schlechten Honorare mit sehr viel Arbeit kompensiert“, so Herold im Gespräch mit 0381. „Wir haben extrem viel gearbeitet und jetzt kam schleichend der Geburtenrückgang“.  
Dass den widrigen Umständen bereits Taten folgten, zeigten einige Praxisschließungen.  Viele Hebammen schränkten ihr Angebot ein, machten nur noch Hausbesuche oder  suchten sich eine andere Tätigkeit. Die Mieten seien einfach zu teuer, die Löhne zu gering. Für eine Still-Beratung erhält Kathrin derzeit eine Pauschale von ca. 40 Euro brutto. Mit Abzug aller Kosten und Steuern bleibe ein Stundenlohn von unter 10   Euro netto übrig. Unvorstellbar dabei noch die Kosten einer eigenen Praxis zu tragen. Ganz zu schweigen von Kosten, die Selbstständige schultern müssen, wie z.B. die Krankenversicherung u.v.m. 
„Es geht vielen Kolleginnen richtig schlecht. Und dann haben wir noch das Boomer Thema, denn viele Hebammen hören nun auf zu arbeiten. In der Fläche sehe ich da  wirklich die Versorgung bedroht. In Rostock haben wir den Luxus und haben viele Hebammen. Aber da fehlen uns die Frauen. Und so sieht es auch bundesweit aus. Das ist  ein echtes Problem.“ 
In erster Linie verantwortlich für die Vergütung und die Honorare der Hebammen ist der Spitzenverband der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen in Deutschland (GKV-SV), welcher gleichzeitig die zentrale Interessenvertretung der gesetzlichen Krankenkassen darstellt. Laut Kathrin Herold sind die Verhandlungen zwischen den Hebammenverbänden und dem GKV ein „perfides, politisches Machtspiel“. Die Verhandlungen über eine faire Vergütung dieser Berufsgruppe dauern schon lange an. Gab es Unstimmigkeiten, wurden  diese ausgesessen, der gesamte Verhandlungsprozess war ein ständiges Hin und Her.  „Und wir haben auch wirklich noch extrem lange gedacht, wir sind auf einem guten Weg. Wir haben geglaubt, dass wir in diesem Jahr die Verhandlungen abschließen können. Aber letztendlich wurden wir immer nur angefüttert und jetzt sind wir einfach an einen Punkt gekommen, an dem es nicht mehr weiter geht“, kritisiert Herold.  

Die Schiedsstelle als letzte, ungewollte Instanz 
Die Thematik ist so verstrickt und festgefahren und gleichzeitig so ernst und von  existenzieller Bedrohung, dass sich die Hebammen nun an die letzte Instanz wendeten.  Der Schiedsstelle. Dabei handelt es sich um Gremien, deren Ziel der runde Tisch anstatt  die Klage ist. Die Schiedsstelle ist gesetzlich immer dann vorgesehen, wenn sich die  Parteien über bestimmte Anliegen nicht auf dem Verhandlungswege einigen können. Der Miteinbezug einer Schiedsstelle ist im Gesundheitswesen nicht nur gesetzlich vorgeschrieben, sondern tatsächlich auch üblich. In den Schiedsstellenverhandlungen werden die Forderungen beider Seiten diskutiert und verhandelt, dann folgt die Abstimmung über den Vertragsinhalt. Es gilt der Mehrheitsbeschluss. Die Schiedsstelle besteht aus Vertretern der Krankenkassen sowie der Hebammenverbände (Deutscher Hebammenverband, Bund freiberuflicher Hebammen und dem Netzwerk der  Geburtshäuser) und unparteiischen Mitgliedern.  
Doch auch diese Verhandlungen sind nicht zufriedenstellend, wie Kathrin Herold uns  erörtert. „Wenn wir sagen, 85 Euro ist eine angemessene Vergütung pro Stunde, dann  sagt der GKV-Spitzenverband, wir finden, 45 Euro. Und dann muss irgendeine Lösung in der Mitte gefunden werden. Das wollten wir lange vermeiden.“  

Social-Media-Kampagnen zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit 
Vielen Hebammen geht mittlerweile wortwörtlich die Puste aus. Da es sich dabei um eine kleine Berufsgruppe handelt, sei das Problem bisher noch nicht bei allen präsent. Kathrin  Herold beschreibt uns das Problem: „Wir sind einfach eine sehr kleine Berufsgruppe, miniklein. Wir sind nirgendwo angedockt. Wir sind nicht an der Pflege angedockt und wir sind auch nicht in dem medizinischen Bereich angedockt. Wir stehen für uns alleine für einen sehr kleinen Zeitraum im Leben von Menschen. Für einen sehr wichtigen, glaube ich, und auch für einen existenziellen. Aber die Lobby ist nicht so groß.“  
Noch dazu kommt, dass bundesweit viele Kliniken schließen mussten. Hebammen, die  dort im Kreißsaal tätig waren, haben nun auch keinen Job mehr. Und die Aussicht auf die  Selbständigkeit ist, wie man ja hört, alles andere als rosig. 
Seit dem Start der Social-Media-Kampagne Ohne Uns kein Du wurde es zumindest lauter in den sozialen Netzwerken. Viele freiberuflichen Hebammen wendeten sich an die Öffentlichkeit, mit der Bitte, Druck bei den Krankenkassen auszuüben. „Ohne uns läuft hier nichts – außer Fruchtwasser“, heißt es auf der Landingpage. Mithilfe von geteilten Beiträgen, Briefen und Mails an die gesetzlichen Krankenkassen soll auf die  erschreckende Situation der Hebammen aufmerksam gemacht werden. Und hoffentlich ein Stein ins Rollen gebracht werden, der die Vertragsverhandlungen beendet und ein  positives Ergebnis in der Schiedsstelle mit sich bringt.  
Da das Ausüben des Hebammen-Handwerkes schon längst keine „Berufung“ mehr,  sondern ein ernstzunehmender und unersetzlicher Beruf ist, sollte dieser auch  angemessen und respektvoll vergütet werden. Die Lage ist ernst, das sieht man an Schließungen und Einschränkungen vieler selbständiger Hebammen. Die derzeitigen Aussichten sind mehr als trist und das soll sich ändern. Damit auch in Zukunft werdende  Eltern und neue, kleine Erdenbürger liebevoll und einfühlsam in ein neues Lebenskapitel begleitet werden.  
Formlose Schreiben mit der Forderung nach einer fairen Honorarvergütung von  Hebammen reichen schon aus. Wer möchte, kann sich einen Vordruck herunterladen auf www.ohne-uns-kein-du.de. Mehr Infos gibt es auch unter www.hebammenverband.de. Es gibt noch viel zu tun!

*Quelle: Rathaus Rostock

Luise Acker

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